Mit den Kindern baute Lisa Peschel eine Hütte aus Ästen.

“Dieser Beruf schenkt mir Freude und Sinn”

AWO Magazin ImPuls, Schwerpunktthema Fachkräfte: Lisa Peschel wird Erzieherin – aus Überzeugung

Region Hannover/ Barsinghausen. Im Fokus der aktuellen Ausgabe unseres Magazins “AWO ImPuls” steht das Thema Fachkräfte in den Kindertagesstätten der AWO. Die 28-Jährige Lisa Peschel war in ihrem früheren Beruf als Bürokauffrau zwar erfolgreich und verdiente gut. Aber sie wollte in ihrem Alltag mehr Lebendigkeit und Sinnhaftigkeit. Bei ihrer Arbeit in einer AWO Kindertagesstätte hat sie genau das gefunden.

Ich brauche jetzt die Axt, sagt Jonas* und streckt Lisa Peschel die Hand entgegen. „Die Axt?“ Die 28-Jährige blickt auf den 5-Jährigen, sieht auf den Stock in ihrer Hand und nickt. Natürlich, die Axt. Zwei Minuten vorher war der Stock zwar noch ein Speer, den sie nur kurz mal halten durfte. Aber solche Transformationen passieren im Alltag der angehenden Sozialassistentin öfter. „Ich bin ein Baumfäller“, verkündet der Junge, der bis gerade noch ein Jäger war. „Das ist eine schwere Arbeit.“ Lisa Peschel blickt auf den kleinen Waldarbeiter, der hochkonzentriert mit dem Stock auf eine dicke Eiche eindrischt. „Das wird lange dauern“, verkündet Jonas. „Wir haben Zeit“, sagt Lisa Peschel. „Und morgen können wir auch wiederkommen.“

Lisa Peschel arbeitet in der Kindertagesstätte Langenkampstraße in Barsinghausen. Seit August 2021 macht sie dort eine einjährige Ausbildung zur Sozialassistentin, direkt im Anschluss wird sie sich zur Erzieherin ausbilden lassen. Die Kindertagesstätte der AWO Region Hannover liegt am Rand des Deisters. Direkt vor der Tür beginnt der Wald, das umliegende Gelände ist hügelig. Jeden Freitag machen alle zusammen eine Expedition in den Forst. Aber auch an anderen Wochentagen gehen Lisa Peschel und eine Kollegin bei Bedarf mit ein paar Kindern in das nahegelegene Waldstück. Lisa Peschel blickt sich um: Was machen die anderen Kinder aus ihrer Gruppe? Vor ihr kullert ein Mädchen den Hang hinab. Laut juchzend lässt sie sich in einen Laubhaufen fallen. Zwei Jungen sammeln Steine und schichten sie auf zu einem Stapel. Zwei andere Mädchen verstecken sich kichernd hinter einem Gebüsch. „Dieser Beruf ist genau mein Ding“, sagt Lisa Peschel. „Kindern fällt ständig etwas Neues ein, und ich begleite sie dabei. Mir fallen dabei auch selbst andere Dinge auf. Außerdem liebe ich die Interaktion in meinem Alltag: Ich muss gucken, wo der Bedarf bei den Kindern ist und welche Aktivitäten wir zusammen gestalten. Ich kann und muss flexibel auf die Kinder reagieren.“

Lisa Peschel lächelt und sagt, sie hätte keine bessere Berufsentscheidung treffen können. Und dass sie jeden Tag froh sei, nochmal etwas ganz Neues angefangen zu haben. Dass Erzieherin ihr Traumjob ist, war nicht auf den ersten Blick naheliegend: Die 28-Jährige bringt nicht von Haus aus viel Erfahrung im Umgang mit Kindern mit. Sie hat ihr bisheriges Leben nicht mit einer großen Kinderschar verbracht. Sie ist als Einzelkind aufgewachsen. Sie hatte keine Babysitter-Jobs als Jugendliche. Sie hat auch keine eigenen Kinder. Die Entscheidung mit Kindern zu arbeiten, entstand auch aus dem Bewusstsein dafür, was sie nicht mehr wollte: In ihrem alten Job als Kauffrau für Bürokommunikation hatte die junge Frau zusehends das Gefühl, vollkommen fehl am Platz zu sein.

Nach ihrem Empfinden passierte dort einfach zu wenig, die Eintönigkeit bedrückte sie. Sie traf nicht genug Menschen, ihr fehlten Austausch und Lebendigkeit. Es gab zu wenig Herausforderung. „Und vor allem gab es zu wenig Sinn.“ Lisa Peschel hatte ihren ersten Beruf direkt nach ihrem Realschulabschluss gewählt. Sie sagt von sich selbst, dass sie als 16-Jährige ungeheuer schüchtern gewesen sei. Sie hatte keine richtige Vorstellung davon, was zu ihr passen könnte. Sollte sie noch weiter die Schule besuchen und Fachabitur machen? Ihre Eltern rieten ihr zu einem krisensicheren Beruf, in dem sie genug verdienen würde. „Also bin ich ins Büro gegangen.“ Die Anforderungen dort waren kein Problem für sie. Das Gehalt stimmte. Lisa Peschel blickt in die Baumkronen im Deister und sagt: „Aber ich bin dort immer unglücklicher geworden.“ Das sei allen aufgefallen. Nicht nur ihrem Freund und ihren Freundinnen. Auch wohlmeinende Kolleg*innen rieten ihr, sie solle sich weiterentwickeln.

Als in ihrem Freundeskreis die ersten Kinder geboren wurden, merkte Lisa Peschel, dass es ihr Spaß machte, ihre Unterstützung anzubieten. Obwohl sie kaum Erfahrung hatte, hatte sie keine Berührungsängste mit den Klein- und Kindergartenkindern zu spielen. Sie überlegte zunächst, ob sie sich in einer entsprechenden ehrenamtlichen Initiative neben dem Büro-Job engagieren sollte. „Aber das war zeitlich nicht vereinbar.“ Irgend- wann kam ihr der Gedanke: Warum nicht komplett umsatteln? Warum nicht erst eine Ausbildung zur Sozialassistentin und anschließend zur Erzieherin machen Ihre Eltern waren erstmal nicht begeistert von der Idee: Würde das Geld reichen? Wäre das nicht zu anstrengend, den ganzen Tag von so vielen Kindern belagert zu werden? Und wie käme sie mit den Eltern der Kinder klar? „Aber diese Zweifel konnte ich alle widerlegen“, sagt Lisa Peschel. „Nach elf Jahren Berufstätigkeit wusste ich genau, wie ich mit meinem Geld hinkomme und was ich mir für die Zukunft wünsche.“

Sie wollte kreativ sein können und bas- teln. Sie wollte sich Spiele ausdenken. Sie wollte Kinder bei ihrer Entwicklung unterstützen. „In den ersten Lebensjahren werden viele Grundlagen dafür gelegt, wie man später denkt und handelt, was für ein Mensch man wird.“ Lisa Peschel hat den Anspruch, den ihr anvertrauten Kindern etwas Gutes mitgeben zu können. „Das ist eine große Verantwortung. Aber es ist genau die Art von Verantwortung, die ich möchte.“ Direkt nach dem Realschulabschluss hätte sich die angehende Erzieherin dieser Aufgabe noch nicht gewachsen gefühlt. Aber jetzt, mit Ende Zwanzig, wollte sie einen Job, in dem sie etwas bewegen kann und in den sie Herzblut legt.

Durch Zufall bewarb sich die Barsinghäuserin im Frühjahr 2021 bei einer AWO Einrichtung, die gerade erst eröffnet hatte und Personal suchte: der Kindertagesstätte Langenkampstraße. In der Einrichtung sind 25 Kinder in der Obhut von insgesamt vier in Teilzeit angestellten pädagogischen Fachkräften. Lisa Peschel sagt, sie komme jetzt jeden Morgen gerne zur Arbeit und fühle sich gut aufgehoben. Die erste Unsicherheit, wie sie auf die Kinder zugehen solle, ist längst verflogen: Die Kinder kamen ohnehin auf sie zu, nahmen sie bei der Hand, wollten mit ihr spielen. Inzwischen weiß die 28-Jährige ganz genau, was ihre Aufgaben sind und mit welcher Haltung sie sich den Kindern nähert. Diese Haltung ist ihrer Ansicht nach eine der Kernkompetenzen von Erzieher*innen: Es geht darum, die Kinder in ihrer Persönlichkeit wahrzunehmen und zu respektieren. Zu beobachten, welche Reaktionen sie in bestimmten Situationen zeigen. Ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, friedlich und selbstbewusst mit anderen zu interagieren. Zu erkennen, wann sie einen Konflikt selbst lösen können und wann sie Unterstützung brauchen. Nur den Wenigsten sei klar, welche Bedeutung ihr Beruf habe. „Wir schaffen die Grundlagen für die Schule und fürs spätere Miteinander.“

In der Schule gehört zu Lisa Peschels Unterrichtsfächern auch das „Beobachten und Reflektieren“. Das sei ihr anfangs nicht ganz leichtgefallen, gibt sie zu, weil ihr diese Art nicht vertraut war. Aber je mehr sie sich darin trainiert, ihre Schützlinge zu beobachten, umso mehr wächst ihr Wissen um kindliche und menschliche Verhaltensweisen. Ein Mal pro Woche hat sie außerdem ein Reflexionsgespräch mit ihrem Mentor Heiko Herbst, dem Einrichtungsleiter der Kindertagesstätte Langenkampstraße.

Lisa Peschel sagt, dass der Job auch ihre eigene Persönlichkeit prägt. Sie zeigt auf die Bäume und das Licht, das durch die Baumkronen fällt. Früher ist sie in ihrer Freizeit nicht zum Spaziergang in den Wald gegangen. Seit sie aber erlebt, welchen Effekt das Naturerleben auf die Kinder hat, geht sie auch allein und mit ihrem Freund in den Wald. Die 28-Jährige zeigt auf ihre Kleidung: ein graublaues Shirt, eine vi-lette Jacke, ein blumiges Halstuch. Früher trug sie fast ausschließlich Schwarz, aber das fand sie für die Kinder zu trist und traurig. Und für sich selbst inzwischen auch. „Ich bin heute viel ausgeglichener und zufriedener“, sagt sie. „Dieser Beruf schenkt mir Freude und Sinn.“


* Name geändert

Text: Julia Meyer-Hermann, Fotos: Christian Degener/ AWO

Die gesamte neue Ausgabe der “AWO ImPuls” gibt es hier: https://www.awo-hannover.de/impuls/ 

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