„Ich war an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich überhaupt nicht mehr wusste, wie es weitergehen soll“.

„Die Betreuung hat mich zurück ins Leben geholt“

Schwerpunktthema AWO ImPuls: Schnelle Hilfen nach Paragraf 67 SGB XII ff

Region Hannover/ Hannover. Als seine Ex-Frau mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland zog, fiel Magnus T. (*Name und biografischer Hintergrund wurden redaktionell geändert) in eine Depression. Das Team des Begleiteten Wohnens der AWO Region Hannover stellte ihm eine Sozialarbeiterin an die Seite und half ihm, zurück in den Alltag zu finden. Niemand ist gefeit vor Schicksalsschlägen oder Existenzkrisen, wie sie Magnus T. erlebt hat. Manche Menschen kommen an irgendeinem Punkt in ihrem Leben derart ins Straucheln, dass sie nicht mehr ein noch aus wissen – und erst Recht nicht, wie sie aus dieser Krise wieder herausfinden. In Deutschland haben Menschen in besonders schwierigen Lebenssituationen verbunden mit sozialen Schwierigkeiten einen Anspruch auf Hilfen nach Paragraf 67 SGB XII ff. Die Mitarbeitenden der AWO Region Hannover sind für diese Menschen ein Anker in Krisensituationen.

Die Wohnung war dunkel und klein. Die Dachschräge so niedrig, dass er nur an wenigen Stellen aufrecht stehen konnte. Magnus T. war arbeitslos. Er hatte kein Geld mehr. Und er wusste nicht, wann er seine Tochter wiedersehen würde, die seine Ex-Frau mit ins Ausland genommen hatte. Wenn er sich daran erinnert, wie verzweifelt er im Januar 2022 war, wird seine Stimme zittrig. „Ich war an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich überhaupt nicht mehr wusste, wie es weitergehen soll“, sagt der 34-Jährige. Er vergaß zu essen. Er konnte nachts nicht schlafen. Er öffnete seine Post nicht mehr. „Ich war wie gelähmt, vollkommen handlungsunfähig.“ Trotzdem wusste der Hannoveraner, dass er eine Lösung finden musste. „Ich bin Vater. Meine Tochter braucht mich noch.“ Magnus T. hatte schon früher mit depressiven Phasen zu kämpfen gehabt. In gewisser Weise sei das in dieser Situation sogar von Vorteil gewesen, glaubt er heute. Er wusste, dass er sich Unterstützung suchen musste und konnte. Er wandte sich an seine Ärztin, erklärte ihr die Situation. Die empfahl ihn weiter an den Bereich der zielgruppenorientierten Hilfe der AWO Region Hannover. 

Bei der schnellen Hilfe gibt es kein langwieriges Genehmigungsverfahren 

Dort gibt es den Bereich des Begleiteten Wohnens nach Paragrafen 67 SGB XII ff. Dieser Paragraph des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch bildet die rechtliche Grundlage für die Gewährung von sozialen Hilfen. Lisa Hanczyk, Sozialpsychologin und Pädagogin, hat den entsprechenden Dienst in den letzten Jahren bei der AWO mit aufgebaut. „Unser Team ist dafür zuständig, Menschen in besonders schweren Lebenssituationen möglichst schnell zu unterstützen. Dazu gehören auch Menschen, die von zum Beispiel von Wohnungslosigkeit bedroht sind.“ Anders als bei anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Ambulant Betreuten Wohnen oder auch bei den rechtlichen Betreuungen, ist die Vorlaufzeit bei Hanczyk und dem Team viel kürzer. 

„Wenn wir nach einem ersten Beratungsgespräch feststellen, dass jemand unsere Hilfe braucht, können wir ziemlich unkompliziert einen Antrag stellen.  Dann sind wir im Grunde sofort einsatzfähig – sofern unsere Kapazitäten es gerade zulassen“, sagt Lisa Hanczyk. 

Der Paragraph 67 SGB XII ff. regelt die Unterstützung für Menschen in Notlagen. Diese Leistungen sind darauf ausgerichtet, in prekären Lebenskrisen sofortige Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Dies kann beispielsweise die Sicherstellung des Lebensunterhalts, die Unterstützung beim Erhalt der Wohnung, der Wohnungssuche oder die Prüfung von Gesundheitsleistungen umfassen. Die Dienstleistungen werden in Form kontinuierlicher, zeitlich befristeter Beratung, Unterstützung, Förderung, Organisation und Planung gewährt. 

Wir helfen hier Männern und Frauen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten

„Als ich mich an die AWO gewandt habe, brauchte ich Unterstützung, um nicht weiter in Depression und Isolation zu versinken“, sagt Magnus T. Der 34-Jährige sagt von sich, dass er immer einen Lebensplan gehabt und die Dinge angepackt habe. Er hatte nach Abitur und Auslandaufenthalten Mathematik studiert. Das Studium hatte er mit Mitte Zwanzig kurz vor dem Examen abgebrochen, als seine damalige Frau und er ein Kind erwarteten. „Ich wollte lieber schnell Geld für meine Familie verdienen“, sagt er. „Im Nachhinein war das ein Fehler.“ Während Corona meldete sein Arbeitgeber Insolvenz an, er verlor seine Stelle und fand keine neue Anstellung. Seine Frau trennte sich von ihm, bat ihn auszuziehen. „Weil es kaum Wohnungen auf dem Markt gab, bin ich in eine Art Dachkammer gezogen.“ Bei der Scheidung bekamen er und seine Ex-Frau das geteilte Sorgerecht zugesprochen. Die Betreuungstage teilten sich die Eltern zu gleichen Anteilen. Aber dann kam Magnus T. an einem Mittag im Jahr 2021zur Schule seiner Tochter und bekam mitgeteilt, dass sein Kind abgemeldet worden sei. Seine Ex-Frau reagierte zunächst nicht auf Anrufe. Schließlich erfuhr er, dass sie „quasi über Nacht“ ins Ausland gezogen war, dort einen neuen Lebensgefährten hatte. Er bekam über den Anwalt seiner Frau mitgeteilt, dass er seine Tochter in ihren Schulferien sehen könne. Das war zu viel für ihn. 

„Eigentlich kann ich wohl formulierte Mails und Briefe schreiben. Ich weiß, wie man kommuniziert“, erklärt Magnus T. Er wollte seinem Anwalt antworten, der ihn in seinem Sorgerechtsstreit beriet. Er wollte Geld beim Jobcenter beantragen, Unterstützung bei den Gerichtskosten. Er wusste, dass er sich bei Freunden melden sollte, um nicht ständig allein zu sein. Aber er saß vor seinem Computer und kriegte keinen Satz zu Ende. 

Ein gesundes Maß an Abgrenzung hilft dabei, sachlich und konstruktiv nach Lösungen zu gucken

„Desolate Wohnungszustände und vernachlässigte Körperhygiene finden wir oft vor“, sagt Max Banaschak, Mitarbeiter im Team des Begleiteten Wohnens. Viele dächten, dass nur Menschen aus niedrigen Einkommens- und Bildungsschichten von solchen prekären Situationen betroffen seien „Aber das ist ein Klischee. Wir helfen hier Menschen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten.“ Der Sozialarbeiter hat schon einige Menschen betreut, bei denen es auch darum ging, Alltagsstrukturen wieder zu etablieren. Schon während seines Studiums hat der 26-Jährige in einem Übergangswohnheim für psychisch kranke Menschen gearbeitet, danach war er rechtlicher Betreuer, bevor er Kollege von Lisa Hanczyk wurde. Die menschliche Erfahrung kommt ihm zu Gute. „In unserem Bereich ist es wichtig, nicht nur die fachliche Kompetenz zu haben, sondern auch die Selbstfürsorge im Blick zu behalten“, sagt Sozialpsychologin Lisa Hanczyk. 

Insgesamt betreut das Team Begleitetes Wohnen derzeit 50 Personen. Die Unterstützung ist individuell: Es kann darum gehen, gemeinsam Behördengänge zu machen. Zusammen einzukaufen. Arzt-Termine wahrzunehmen. Oder auch in den Park spazieren zu gehen. Wenn die Situation es erfordert, können Sozialarbeiter*innen und Klient*innen sich auch erst einmal öfter pro Woche sehen. Oft sind die AWO-Mitarbeiter*innen die einzige Konstante und die einzigen Gesprächspartner*innen im Alltag der Betroffenen. „Ich darf mich als Unterstützer aber nicht mit dem Schicksal und den Problemen meines Gegenübers identifizieren“, sagt Max Banaschak,. „Ein gesundes Maß an Abgrenzung hilft dabei, sachlich und konstruktiv nach Lösungen zu gucken.“ 

Für Magnus T. war diese Art der Unterstützung genau das, was er brauchte. „Während sie bei mir war, habe ich die Dinge erledigt, die ich aus den Augen verloren hatte“, sagt der 34-Jährige. Gemeinsam habe man einen Weg gefunden, die Anwalts- und Gerichtskosten zu finanzieren. Er hat sich eine neue Wohnung gesucht. Der Kontakt zu seiner Tochter ist wieder regelmäßig, „wenn auch zu wenig“. Magnus T. überlegt, wie er seine berufliche Zukunft bestreiten kann. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ hat bei ihm funktioniert. „Der Austausch mit meiner Betreuerin hat mir einfach das Gefühl gegeben, dass ich noch ein Teil dieser Gesellschaft bin. Und das will ich auch sein.“

Text: Julia Meyer-Hermann, Fotos: Christian Degener/AWO

Hier gibt es die neue Ausgabe mit dem Schwerpunktthema §67 online und kostenlos:

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