Auch die Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi (SPD) (3. v. l.) hat am Fachgespräch teilgenommen. Neben ihr (von links) Georg Steimann, Geschäftsführer Der Paritätische Hannover, AGW-Vorsitzender Dr. Andreas Schubert, AWO Geschäftsführer Burkhard Teuber (rechts im Bild) und die Mitglieder des Fachausschusses Migration der AGW.

Jungen Zugewanderten bessere Berufsperspektiven ermöglichen

Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege hat Fachgespräch veranstaltet

110 Teilnehmende aus Politik, Bildung, Verwaltung, Kammern und Beratungseinrichtungen verfolgten am 18. September das diesjährige Fachgespräch der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGW) in der Stadt Hannover zum Thema „Jugendliche mit Migrationsgeschichte in der schulischen und beruflichen Praxis am Beispiel der BBS“ im Mosaik Saal des Neuen Rathaus.

In Deutschland spielt die soziale und migrationsbedingte Herkunft eine entscheidende Rolle für den Bildungserfolg junger Menschen. Im Fokus dieser Entwicklung steht besonders die seit 2015 eingereiste Generation junger Migrantinnen und Migranten. In der sozialpädagogischen Beratungsarbeit entsteht der Eindruck, dass sie teilweise in für sie nicht passende Bildungsgänge gepresst werden Dies lässt sich besonders an Berufsschulen beobachten. Neuzugewanderte Jugendliche ab 15 1/2 Jahren melden sich an Berufsschulen an, da sie in der Regel nicht an für sie besser geeigneten Regelschulen aufgenommen werden. Häufig führt auch deren aufenthaltsrechtliche Situation dazu, dass talentierte oder hochqualifzierte Schüler einen Ausbildungsplatz annehmen, obwohl ihnen vom Leistungsniveau ein Abitur oder Studium zuzutrauen wäre. Viele von ihnen scheitern in der Berufsschule aufgrund nicht ausreichender Sprachkenntnisse.

In den Ausbildungsmarkt integrieren
„Angesichts des Potenzials der jungen Zugewanderten und des Fachkräftemangels sollten wir die Chance nutzen, und sie in den Ausbildungsmarkt integrieren“, sagte Regine Kramarek, Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Hannover (Bündnis 90/Die Grünen) in ihrem Grußwort. Die auftauchenden Probleme seien dabei sehr vielschichtig – Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund traumatischer Erfahrungen, kulturelle Unterschiede oder fehlende Sprachkenntnisse. „Hier ist noch eine Menge an Aufgaben zu bewältigen“, so Kramarek. Ein Großteil davon leisteten die Berufsschulen.

„Viele haben keine Möglichkeit, bei uns an die abgebrochene Schullaufbahn im Herkunftsland anzuknüpfen oder sie fortzusetzen“, betonte der AGW Vorsitzende Dr. Andreas Schubert in seiner Einleitung – sei es der junge Geflüchtete aus Syrien oder die junge EU-Bürgerin aus Polen, die mit ihren Eltern aufgrund eines Arbeitsplatzangebotes nach Deutschland gekommen ist. Kompetenzen und Fähigkeiten würden nicht abgeklärt, so Schubert. „Wir brauchen eine passgenaue und zielgruppenspezifische Beschulung.“

Wertschätzung und Anerkennung
„Fast 70 Prozent der jungen Geflüchteten sind ohne Ausbildung“, berichtete Dr. Martin Koch von der Leibniz Universität Hannover in seinem Impulsreferat, „und damit der Gefahr ausgesetzt, nur Beschäftigungen im Niedriglohnsektor zu finden.“ Die Gefahr, dass so ein neues Prekariat entstehe, sei hoch, so Koch. Lernen könne nur über Erfahrung erfolgen. Nur so könne eine Beziehung zu Sprache und Kultur aufgebaut werden. Viele junge Zugewanderte hätten zerstörte Bildungsbiografien, erklärt Koch: „Wir brauchen langanhaltende Bildungsketten mit Kompetenzfeststellungsverfahren und Betriebspraktika, die eine verbesserte Vorbereitung der Jugendlichen auf den Übergang von der Schule in den Beruf gewährleisten.“ Inklusion bedeute eine Wertschätzung und Anerkennung ihrer Erfahrungen und ein Anknüpfen daran.

Teilhabe von Beginn an
„Sie sind eine sehr heterogene Gruppe mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen wie zum Beispiel mit/ohne Traumatisierung, mit/ohne Schul- oder Berufsabschlüssen, mit/ohne Anerkennung als Geflüchteter“, beschreibt Claudia Karstens vom Paritätischen Gesamtverband in ihrem Referat die Situation junger Menschen mit Fluchtgeschichte. Die Gewährung von Förderung variiere je nach Aufenthaltsstatus. Wichtig sei es, allen, ohne Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus oder Bleibeperspektive, die Teilhabe am Bildungssystem von Anfang an zu ermöglichen, so Karstens. „Dazu bedarf es veränderter Strukturen wie ein klares Verfahren für Kompetenzfeststellungen.“ Das System Berufsschule müsse angepasst werden, ohne Standards der Ausbildung zu senken. Dazu gehörten auch Textoptimierung oder Prüfungsthemen entsprechend der Lebenswirklichkeiten der Menschen.

Bildungsketten bauen
In der anschließenden Podiumsrunde berichtete Ulf Jürgensen, Schulleiter Berufsbildende Schule 2 der Region Hannover, über die Situation an der Berufsschule: „Wir haben einen bunten Strauß an Verschiedenheit an unserer Schule mit Schülerinnen und Schülern aus 65 Nationen. Wir arbeiten daran, dass alle die gleichen Chancen erhalten.“ Schule allein könne das aber nicht schaffen. „Darum arbeiten wir mit vielen Kooperationspartnern zusammen und versuchen Bildungsketten zu bauen“, so Jürgensen. Der Schulleiter wünscht sich für seine Arbeit mehr Verlässlichkeit: „Nicht nur für ein Jahr, wie das mit der AWO erfolgreich durchgeführte Projekt SPRINT, und dann läuft es aus.“ Benötigt würden dauerhafte Konzepte. Die Kontinuität in der Förderung von Hilfsprogrammen ist für AWO Geschäftsführer Burkhard Teuber zentrales Anliegen. Darüber hinaus sei es wichtig, dass die Verantwortlichen der Stadt und der Region die Bildungsträger vor Ort kennen und einbinden, so Teuber.

Verlängerte Ausbildungszeiten für den Spracherwerb
„Die Berufsschulen bildeten im Übergang Schule und Beruf eine Konstante für die Schüler“, sagte Koch in der Diskussion. Es gebe aber wenig Raum, um sich mit den Schülern einzeln auseinander zu setzen. Wichtig sei eine kontinuierliche Begleitung. Dr. Oliver Brandt, Projektkoordinator Beschäftigungsförderung Region Hannover, hob die Notwendigkeit von verlängerten Ausbildungszeiten für den Spracherwerb hervor. Dies sei zum Beispiel über eine Verlängerung der Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre möglich, wie im Modellprojekt INSA für bestimmte Berufe bereits getestet, erklärt Brandt.

Eine Frage aus dem Plenum an die Fachleute aus der Podiumsrunde war, wieso Menschen mit eher geringen Deutschkenntnissen überhaupt Ausbildungsverträge erhalten. Häufig sei absehbar, dass die schulischen Herausforderungen während der Berufsausbildung aufgrund sprachlicher Defizite nicht bewältigt werden könnten und die Ausbildung abgebrochen werden müsse. Desislava Tzvetkova-Gerken, Koordinatorin im Fachbereich Schulen der Region Hannover, antwortete: „Wir haben das Problem erkannt und beraten auch Arbeitgeber.“ Allerdings könnten diesen keine Handlungsvorschriften gemacht werden. Um die Betriebe zu erreichen, sei eine enge Zusammenarbeit mit den Kammern notwendig. Schulleiter Jürgensen gab an, dass er bereits seit einem Jahr den Kontakt zu den Kammern suche. Ziel sei es, dass die Unternehmen nur Menschen einstellen, die ihrer Meinung nach die Ausbildung auch schaffen können. „Sonst gibt es Frustration auf beiden Seiten.“ Entsprechend dringend sei es, so Tzvetkova-Gerken, dass alle Jugendlichen die gleiche Sprachförderung bekommen. „In der Region Hannover machen wir das schon, ausgenommen und benachteiligt sind die EU-Bürger.“

Ein Fazit: Die Podiumsteilnehmenden waren sich einig darüber, dass die Ausbildung an den Berufsschulen auf dem richtigen Weg ist. Dazu würden aber mehr Zeit und Ressourcen benötigt, betonte Dr. Bettina Doering, Bereichsleiterin Migration und Integration der Landeshauptstadt Hannover und Moderatorin des Fachgespräches.

Die Mitglieder der AGW in der Stadt und Region Hannover sind: Arbeiterwohlfahrt Region Hannover e.V., Hannover Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Der Paritätische Hannover

Mehr Informationen: AWO Beratungszentrum für Integrations- und Migrationsfragen, Nezir-Bajdo Begovic, Tel. 0511 21978-138, Nezir.begovic@awo-hannover.de

 

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