Die Ursachen für schulvermeidendes Verhalten sind individuell und vielfältig.

„In der Pause stand ich alleine da“

AWO Fachstelle Schulvermeidung hat Lea S.* unterstützt, wieder in die Schule zu gehen

Lea S. hat sich von der Karte getrennt. „Mir geht es gut und ich brauche sie nicht mehr“, erzählt die 25-Jährige. Jahrelang lag die Visitenkarte mit den Kontaktdaten der AWO Fachstelle Schulvermeidung in ihrem Portemonnaie. Falls sie nochmal Unterstützung benötigen würde – quasi als Rettungsanker. „Ich fühle mich selbstbewusst, bin offen und habe Freunde“, sagt Lea, die gerade ihr Lehramtsstudium abgeschlossen hat. Das war während ihrer Schulzeit auf dem Gymnasium ganz anders: Jahrelange Mobbingerfahrungen und das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Lea hat die Schule vermieden – wie es in der Fachsprache heißt. In der neunten Klasse wollte sie nicht mehr in die Schule gehen, wie ihre Mutter berichtet. „Ich konnte nicht mehr“, erklärt Lea.

Angefangen hatte es mit Kopfschmerzen und Bauchschmerzen. Da war Lea 12 Jahre alt. Die Mutter hatte sich von Leas Vater getrennt, der alkoholabhängig und depressiv war. Lea, die noch zwei jüngere Geschwister hat, war gerade aufs Gymnasium gekommen. „Es war für alle nicht einfach“, beschreibt die Mutter die Zeit nach der Scheidung. Lea habe immer funktioniert, sich um ihre jüngere Schwester gekümmert, ihr im Alltag geholfen. Dann begannen die psychosomatischen Beschwerden. Verdacht auf Hirntumor, Klinikaufenthalte, Schmerztabletten – von medizinischer Seite wurde alles abgeklärt. Körperlich war nichts feststellbar, sagt die Mutter.  Lea fühlte sich häufig so schlecht, dass sie nicht in die Schule gehen konnte. In der sechsten Klasse intensivierte sich das Gefühl, nicht dazu zu gehören. „Die anderen Schüler haben mich ausgegrenzt“, wie sie erzählt. „In der Pause stand ich alleine da.“

Lea hatte kaum soziale Kontakte in der Schule. Eine Lehrerin behauptete, sie sei nicht ganz unschuldig daran, wenn es Konflikte mit den anderen gebe. Sie würde raushängen lassen, dass sie schlauer sei. Ihre Mitschülerinnen hätten sich nur für Kleidung und Schminken interessiert, erklärt Lea dazu. Das sei für sie nicht wichtig gewesen. „Ich war noch sehr kindlich“, wie sie betont.

In der siebten Klasse entspannte sich dann die Situation für Lea ein bisschen. Die Klassen wurden neu gebildet und sie habe zum ersten Mal seit der Grundschulzeit wieder Freundschaften in der Schule geschlossen.

Durch die häufigen Fehlzeiten versäumte Lea viel Unterricht. Trotzdem waren ihre Leistungen gut, sie hatte keine Schwierigkeiten, sich den versäumten Unterrichtsstoff anzueignen. Ihre Hochbegabung wurde erst im Rahmen der therapeutischen Behandlung während eines Tagesklinikaufenthaltes diagnostiziert. Irgendwann hat Lea ihre Mitschüler nicht mehr nach den Unterrichtsinhalten gefragt, sondern direkt die Lehrkräfte angesprochen. „Von den anderen kamen immer nur Kommentare, warum ich schon wieder krank gewesen sei, wie sie erzählt. „Und das wollte ich nicht mehr.“ In der neunten Klasse spitzte sich die Situation zu. Der neue Klassenlehrer reagierte auf ihre Anfrage wegen der versäumten Unterrichtsinhalte, sie würde sich wohl nicht trauen, ihre Mitschüler zu fragen. Das habe Lea getroffen, da wollte sie überhaupt nicht mehr in diese Schule gehen, berichtet die Mutter. „Wir haben uns dann therapeutische Unterstützung gesucht.“

Im zweiten Halbjahr folgte  der Wechsel an ein anderes Gymnasium. Doch auch dort hörten die Probleme nicht auf. Lea ging es noch schlechter. Sie fühlte sich ausgegrenzt und alleine. Auch mit dem neuen Partner der Mutter sei Lea nicht klargekommen. Irgendwann wollte Lea auch hier nicht mehr zur Schule.

Die Mutter traf dann die Entscheidung, Lea zu einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus Auf der Bult anzumelden. Gegen ihren Willen, ihre Tochter habe sich massiv gesträubt, sagt die Mutter. Doch während des sechsmonatigen Klinikaufenthaltes arrangierte sich Lea allmählich mit der Situation.  „Ich fühlte mich dort ein bisschen wie in einem Kokon – alles Schlechte blieb draußen, alles war organisiert.“ Außerdem waren Kontakte zu anderen Patienten da. Im Rahmen der Therapie sollte Lea ausprobieren, wie es ist, wieder zur Schule zu gehen – es mit Begleitung aus dem Krankenhaus zu üben. Das habe aber überhaupt nicht funktioniert, sagt Lea. „Ich hatte das Gefühl, meine Begleiterin lässt mich alleine.“ Da sei kein Vertrauen gewesen.

Ein behandelnder Arzt machte Lea und ihre Mutter dann auf das Hilfeangebot der AWO zur Schulvermeidung aufmerksam. Und Lea wollte diese Möglichkeit unbedingt ausprobieren, wie die Mutter betont. Mit dieser Entscheidung sei die Spirale für Lea wieder nach oben gegangen, erzählt sie weiter. Thomas Thor, Leiter der AWO Fachstellung, entwickelte gemeinsam mit Mutter und Tochter einen Plan, wie es für Lea weitergehen könne. „Herr Thor hat mich morgens aus dem Krankenhaus abgeholt und bis zur Schule begleitet – zwei Wochen lang“, erzählt Lea. Sie hätten viel geredet in dieser Zeit. „Er hat mich einfach akzeptiert – so wie ich bin.“ Jeden Tag hätte sie sich besser gefühlt. Er habe ihr das gegeben, was sie brauchte, und sie nicht mit Samthandschuhen angefasst – wie die anderen alle, sagt Lea.  Und dieses Gefühl habe ihrer Tochter geholfen, erklärt die Mutter. Thomas Thor sei ein Anker für sie gewesen. Mit seiner Hilfe sei es Lea gelungen, wieder alleine und selbstständig in ihre Schule zurückzukehren und das Abitur zu machen.

*Name redaktionell geändert

Zum Hintergrund
Die Ursachen für schulvermeidendes Verhalten sind individuell und vielfältig: Konflikte innerhalb der Schule mit Lehrern oder Mitschülern, Mobbing, Vernachlässigung durch die Eltern, Probleme in der Familie, zum Beispiel Schulden, Arbeitslosigkeit oder Trennung können Auslöser einer Schulvermeidung sein. Die Fachstelle Schulvermeidung der AWO Region Hannover fördert sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen, die ihrer Schulpflicht nicht nachkommen und vom Schulsystem nicht mehr erreicht werden. Mit drei methodisch unterschiedlichen Ansätzen (Glashütte, Konnex, Präventionsprojekt) entwickelt das Team in enger Zusammenarbeit mit Schulen, Eltern und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe tragfähige Perspektiven.

Kontakt: AWO Fachstelle Schulvermeidung, Thomas Thor, Spichernstraße 11 c, 30161 Hannover, Tel. 0511 60096037, konnex@awo-hannover.de

Text: AWO/Gaby Kujawa

 

 

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