Marina* trennte sich nach monatelangen Gewaltattacken von ihrem Partner.

„Ich war immer auf der Suche nach Liebe“

Magazin AWO ImPuls - Schwerpunkt Gewalt: Teilnehmerin der AWO Jugendwerkstatt Nadelöhr berichtet von ihren Gewalterfahrungen

Region Hannover/ Hannover. Da war die Grenze erreicht. „Er hat uns mit dem Messer bedroht und wollte mir das Kind wegnehmen“, erzählt Marina*. Die 22-Jährige hat sich vor vier Jahren von dem Vater ihres jetzt vierjährigen Sohnes getrennt. Vorausgegangen waren monatelange Gewaltattacken. Sie wurde von ihrem Expartner beschimpft, verprügelt und krankenhausreif geschlagen. Jetzt wolle sie versuchen, ihr Leben in eine andere Richtung zu bewegen. Marina nimmt seit drei Monaten an den Angeboten der Jugendwerkstatt Nadelöhr bei der AWO Region Hannover teil. „Ich möchte mein Leben wieder in den Griff bekommen.“

Marina erlebt Gewalt seit ihrer Kindheit – sie ist damit großgeworden. Gewalt gehört zu ihrem Alltag. Streit in der Familie oder unter Freunden wurde immer körperlich ausgetragen. Als älteste von sieben Geschwistern und Halbgeschwistern habe sie gelernt, zurückzuschlagen. Eine andere Möglichkeit hätte sie nicht gesehen, wie sie erzählt. Die Eltern haben sich früh getrennt, aufgewachsen ist Marina bei ihrer Mutter. Seitdem sie zwölf Jahre alt ist, lebt sie nicht mehr zuhause – bis 14 war sie in verschiedenen Heimen untergebracht. Mit 16 wurde ihr vom Jugendamt eine eigene Wohnung zugewiesen. Zwischendurch hat Marina immer mal wieder bei ihrer Oma gelebt. Zu ihrer Mutter hat sie sporadisch Kontakt. Zeitweise hat sie mit dem Vater ihres Sohnes zusammen bei seiner Mutter und Schwester gewohnt. Seit 2018 sitzt er im Gefängnis – wegen Körperverletzung, Betrug, versuchten Totschlages und anderen Delikten.

Angefangen hatte es mit einem Ausraster, wie sie erzählt. Sie und ihr Expartner kamen von einer Feier – waren auf dem Weg nach Hause. Es gab Streit. Die Situation sei dann so eskaliert, dass andere die Polizei gerufen hätten. „Als die Polizei ankam, war er aber schon weggelaufen“, sagt Marina. Die Polizisten hätten sie dann in ihre Wohnung zurückgebracht. Zuhause sei sie erst einmal zur Ruhe gekommen und habe nicht auf seine Nachrichten reagiert. Es täte ihm leid, es würde nie wieder passieren, so seine Beteuerungen. Aber sie hätte ja Schuld gehabt. „Wir haben uns wieder vertragen“, erklärt Marina. Dann fing es von vorne an – Beschimpfungen, Prügel, Versöhnung. „Ich glaubte ihm, was er mir die ganze Zeit eingeredet hat – dass ich Schuld habe“, sagt Marina. Irgendwann sei sie auch nicht mehr weggelaufen. „Ich habe mich hingesetzt und darauf gewartet, dass er mich schlägt.“

Dann ist Marina schwanger geworden – da sei zwei Monate Ruhe gewesen. Als sie dann im siebten Monat war, habe er sie so verletzt, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde – die Wehen mussten gestoppt werden, um eine Frühgeburt zu verhindern. Er besuchte sie, entschuldigte sich, es würde nicht mehr vorkommen. Sie drohte mit Trennung und zeigte ihn bei der Polizei an. Auch nach der Geburt ihres Sohnes ging die Gewaltspirale weiter. Anzeigen bei der Polizei hat Marina immer wieder zurückgezogen. Sie lebte dann einige Zeit in einer Mutter-Kind-Einrichtung. „Zuerst hatte er dort Hausverbot“, berichtet Marina. Dann hätten sie gemeinsam mit den Fachkräften vor Ort einen Plan aufgestellt, wie beide zusammen das Kind großziehen können. Doch irgendwann sei er gekommen und habe das Kind mitgenommen – zu seiner Schwester. Er drohte Marina damit, ihren Sohn nach Russland bringen zu wollen. „Was sie in dieser Beziehung gehalten hat, warum sie nicht früher gegangen ist? „Ich war immer auf der Suche nach Liebe, ich habe gehofft, er würde sich ändern.“

Jetzt lebt Marina in einer eigenen Wohnung, ihr vierjähriger Sohn besucht die Kita. Sie sei durch das Jobcenter auf die Möglichkeit, am Angebot der Jugendwerkstatt Nadelöhr teilzunehmen, aufmerksam geworden. Sie möchte ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen, etwas für ihr Kind und sich tun und mit einer Therapie beginnen. „Ich fühle mich jetzt ganz okay“, sagt Marina. Die Tagesstruktur im Nadelöhr gebe ihr Halt und die Gespräche mit den Beraterinnen würden ihr guttun. Ihr Ziel sei es, in der ambulanten Pflege zu arbeiten. Sorge bereitet ihr momentan der Gedanke, dass der Vater ihres Sohnes nächstes Jahr aus dem Gefängnis entlassen wird. Gemeinsam mit AWO Mitarbeiterin Gudrun von Alten will sie einen Termin bei der AWO Frauenberatung machen, um zu klären, welche Möglichkeiten und Rechte sie hat, sich vor ihrem Expartner zu schützen. „Wir haben ja kurze Wege hier bei uns im Haus – die Frauenberaterinnen sitzen direkt vor Ort“, sagt von der Alten.“ Für Marina sei es jetzt erst einmal wichtig, verlässliche Alltagsstrukturen aufzubauen, sich zu stabilisieren und sich weiter für Ausbildung und Arbeit zu qualifizieren.

*Name redaktionell geändert

Dieser Bericht ist Teil des Schwerpunkts zum Thema Gewalt in der neuen Ausgabe des Magazins AWO ImPuls. Die gesamte neue Ausgabe der AWO ImPuls mit dem Schwerpunktthema Gewalt können Sie hier online lesen: https://bit.ly/30vvBD6.

Text: Gaby Kujawa/AWO, Illustration: Maja Bächle 

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