Hannover. Nach und nach füllt sich der Raum. „Wie geht es dir, was hast du am Wochenende gemacht?“. Jeder, der an diesem Montagmorgen den Unterrichtsraum betritt, wird von Gabriela Olszowa begrüßt und gleich in ein Gespräch verwickelt. „Fahrrad gefahren und gearbeitet“, sagt Jacek Wilner. „Ich bin Fahrrad gefahren und ich habe gearbeitet“, ergänzt die Deutschlehrerin – und der Kursteilnehmer wiederholt den Satz um das fehlende Personalpronomen und das Hilfsverb.
Olszowa unterrichtet eine Gruppe von elf polnischen Männern in Deutsch. Sie alle leben seit Jahren auf der Straße oder in Notunterkünften und nehmen am Projekt ‚Sprache und Arbeit‘ teil, dass die AWO Region Hannover in Kooperation mit dem Asphalt Magazin initiiert hat, mit dem Ziel sie durch Sprachunterricht und Praktika, wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Männer im Alter von 27 bis 62 Jahren waren in den vergangenen Wochen in der Jugendherberge untergebracht und sind jetzt ins Naturfreundehaus umgezogen, das die Stadt Hannover für die Obdachlosen zeitlich begrenzt zur Verfügung stellt.
Der Unterricht findet montags bis donnerstags von 13 bis 16 Uhr in den Räumen der AWO im Ahrbergviertel statt. Die meisten von ihnen seien ohne Deutschkenntnisse aus Polen nach Deutschland gekommen und hätten auf der Straße oder an ihren Arbeitsplätzen ein paar Brocken gelernt, berichtet Olszowa, die in ihrem Heimatland Polen Germanistik mit Deutsch als Fremdsprache studiert hat. „Sie können etwas Deutsch sprechen, ihnen fehlen aber die Grundlagen.“ Ziel im Unterricht sei es, deren Kommunikationsfähigkeiten so zu stärken, dass sie sich an einem zukünftigen Arbeitsplatz gut verständigen können. Denn jeder von ihnen habe denn gleichen Wunsch – wieder eine Arbeit und eine eigene Wohnung zu haben, betont Olszowa. Sie hätten in Polen, Schule oder Ausbildung absolviert – zum Beispiel als Tischler, Zimmermann, oder Koch – und möchten wieder in ihren ursprünglichen Beruf arbeiten. So wie auch Piotr Sienicki. Der 49-Jährige hat in Polen die mittlere Reife mit einer Ausbildung zum Mechaniker abgeschlossen. Sienicki möchte einen guten Job haben und eine Wohnung bekommen. „Aber zuerst einmal will ich richtig Deutsch sprechen lernen.“
Zu schauen, wie es den Menschen geht, an welchem Punkt sie in ihrem Leben stehen, wo sie hinwollen und sie dabei zu unterstützen – dafür setzt sich Olszowa, die seit zehn Jahren als Deutschlehrerin bei der AWO arbeitet, ein. „Der Mensch steht im Vordergrund und das gefällt mir bei der AWO sehr.“
Olszowa, die vorher noch nie mit Obdachlosen gearbeitet hat, hatte keine Vorstellung was sie im Klassenraum erwartet und auch Bedenken bezüglich des Projektablaufs, wie sie erzählt. Die hätten sich aber nicht bestätigt – im Gegenteil. Die Gruppe habe eine gute Dynamik entwickelt. „Ich gehe gerne in den Unterricht.“ Olszowa beobachtet die Veränderungen bei den Männern. Sie seien nach außen sichtbar, durch bessere Kleidung und ein gepflegteres Erscheinungsbildung. „Ich sehe, dass es ihnen wichtig ist, wie sie aussehen.“ Beeindruckt sei sie auch von den inneren Veränderungsprozessen – wie die Männer sich verhielten, was sie erzählten, welche Ziele sie hätten. „Es ist bemerkenswert, wie Menschen sich verändern, wenn man ihnen Perspektiven aufzeigt, sie unterstützt und sie wertschätzend behandelt.“ In der Gruppe sei das schon nach kurzer Zeit deutlich geworden. „Am ersten Tag war die Frustrationsgrenze bei einigen sehr niedrig“, erzählt Olszowa. „Sie waren ungeduldig, haben nicht richtig zugehört oder auch irritiert reagiert, wenn sie etwas nicht verstanden haben.“ Das habe sich aber innerhalb weniger Tage verändert. Sie versuchten sich konkret auszudrücken, gingen respektvoll miteinander um und respektierten Olszowa als weibliche Lehrerin. „Ich spüre eine Herzlichkeit und Dankbarkeit und sehe jeden Tag, wie wir weiterkommen.“