Zunächst wurde er verleumdet und beleidigt, dann folgten Rangeleien und körperliche Übergriffe: Irgendwann blieb Lucas Wagner* aus Angst der Schule fern. „Ich sah keinen anderen Ausweg – ich hatte Angst davor, zusammengeschlagen auf dem Pausenhof zu liegen“, sagt der heute 14-Jährige. Als sein Fernbleiben auffiel, empfahl die Sozialarbeiterin seiner Schule – eine IGS in Hannover – die zentrale Schulvermeidungsstelle der AWO. „Das war mein Glück“, sagt Wagner. Seit einigen Monaten besucht er die „Glashütte“ der AWO, einen außerschulischen Lernort für Schulvermeider. Nach einem Jahr möchte er wieder zurück an eine Regelschule wechseln.
Es begann mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt wegen Magenproblemen, dann folgten mehrere Erkältungen – „und irgendwann häuften sich die Fehltage“. Plötzlich erhielt Wagner WhatsApp-Nachrichten wie diese: „Ey, Du Schwänzer, komm mal wieder in die Schule!“ Solche Nachrichten bekam er fortan regelmäßig. „Ich wurde mehr und mehr zum Außenseiter – ich war plötzlich für viele nur noch der Schwänzer“, so Wagner. Zurück in der Schule wird es immer schlimmer, auf die Beleidigungen folgen Rangeleien und körperliche Übergriffe. „Sobald kein Lehrer mehr im Raum war, ging es los“, sagt Wagner. Als der Druck und seine Angst immer größer wurden, beschloss Wagner, der Schule fernzubleiben. Die Eltern merkten längere Zeit nichts: Er fuhr wie immer mit dem Bus zur Schule, stieg ein oder zwei Stationen früher aus, wartete bis seine Eltern aus dem Haus waren und fuhr dann zurück nach Hause. „Das ging längere Zeit so – auch meinen Lehrern fiel das nicht sofort auf“, sagt Wagner.
Doch irgendwann fiel es auf und der Klassenlehrer verständigte seine Mutter. „Sie war natürlich schockiert und wütend, und sie bot mir an, dass ich mit ihr über alles reden kann“, sagt Wagner. „Aber ich wollte ihr nichts erzählen, um nicht als Petze dazustehen; ich dachte, das würde alles noch schlimmer machen.“ Die Schulsozialarbeiterin der IGS legte ihnen nahe, Kontakt mit der zentralen Schulvermeidungsstelle der AWO aufzunehmen. Die Fachstelle Schulvermeidung der AWO besteht aus der Beratungsstelle Konnex, dem Präventionsprojekt und der Glashütte, einem außerschulischen Lernort für schulvermeidende Jugendliche. Hier bewarb sich Wagner um einen der acht Plätze und wurde aufgenommen. Seit Juni 2017 besucht er fünf Mal pro Woche die „Glashütte“ und wird vier Stunden täglich in Mathe, Englisch, Deutsch, Sozialkunde und Werken unterrichtet. „Ich habe hier wieder Spaß am Lernen – ich kann hier angstfrei lernen“, sagt Wagner. Neues Selbstvertrauen schöpfe er auch aus den Lernerfolgen, die er hier habe. „Und ich habe neue Freunde gefunden.“ Mittlerweile könne er auch über seine Probleme sprechen, die Mitarbeiter der AWO Fachstelle Schulvermeidung hätten ihm sehr geholfen.
Das Mobbing hat ihn ein Jahr Schulzeit gekostet, denn er muss die Klasse aufgrund der vielen Fehlzeiten wiederholen. Seine Erfahrungen als Mobbingopfer hätten ihm zu denken gegeben. „Man muss immer aufpassen, was man anderen Menschen sagt. Man kann auch ungewollt beleidigend sein – und man kann andere schnell zu Außenseitern machen“, so Wagner. Mit denjenigen, die ihn mobbten, habe er sich mittlerweile teilweise versöhnt. Ein Zurück an seine alte Schule gibt es dennoch nicht. Zum neuen Schuljahr wird er zwar wieder zurück an eine Regelschule wechseln, aber es wird eine neue sein. „Ich freue mich auf den Neustart“, sagt Wagner.
*Name redaktionell geändert
Mehr Informationen: AWO Fachstelle Schulvermeidung, Thomas Thor, Tel. 0511 60096037