Region Hannover/ Hannover-Linden. Fast 1000 Fälle hat die AWO Koordinierungs- und Beratungsstelle bei häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr bearbeitet – Tendenz steigend. Und die Fälle werden immer brutaler. Diese Zahlen nannte Franziska Burbulla, Leiterin der AWO Einrichtung, jetzt bei einem Besuch von Politikerinnen der SPD und der CDU/FDP-Gruppe der Regionsversammlung sowie Petra Mundt, der Gleichstellungsbeauftragten der Region Hannover. Die AWO Koordinierungs- und Beratungsstelle ist Teil des BISS-Verbundes (Beratungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt) und erste Anlaufstelle, wenn Frauen in der Region Opfer von Beziehungsgewalt werden und sie die Tat bei der Polizei anzeigen bzw. es einen Polizeieinsatz gab.
Große Sorgen bereitet Burbulla auch, dass im Umland 1511 betroffene Kinder registriert wurden. „Betroffen sind vor allem Frauen und Kinder sind immer mitbetroffen“, betonte Burbulla.„Sie sind immer Opfer einer solchen Situation, denn sie erleben eine psychische Belastung, die sie zum Teil ein Leben lang prägt.“ So komme es häufig vor, dass betroffene Mädchen später selbst Gewaltbeziehungen erleben und Jungen Gewalt als Konfliktlösungsstrategie ansehen.
Deswegen ist die Einrichtung einer BISS-Stelle für Kinder wünschenswert – darüber waren sich die Vertreter*innen der AWO, die Politikerinnen und Mundt einig. „So könnte man den Kinderschutz noch besser umsetzen“, sagte Ute Vesper, Leiterin des AWO Fachbereichs Frauen. Mundt schlug vor, sich mit Verantwortlichen zu treffen, die bereits eine Kinder-BISS umgesetzt haben. Unter anderem habe Göttingen bereits eine solche Stelle.
Positiv sei, dass die Polizei in Niedersachsen stärker für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert wurde, wofür auch eine neue Checkliste der Risikofaktoren sorge. In der Handreichung fragen die Polizist*innen die betroffenen Frauen beispielsweise, ob der Partner vermehrt Alkohol trinkt oder sich Waffen im Haus befinden. Dies gehört zum Hochrisiko-Management. „Wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben dieser Frauen extrem gefährdet ist“, so Burbulla.
Verbesserungspotenzial sieht die Leiterin beim Datenschutz – Daten werden ihrer Meinung nach aus datenschutzrechtlichen Gründen zu spärlich übermittelt. „Der Frauenschutz muss aber in diesem Fall über dem Datenschutz stehen“, betonte Burbulla. Auch hier waren sich alle einig. So werde zum Beispiel nicht übermittelt, ob sich der Täter noch in der gemeinsamen Wohnung befindet, was aber eine wichtige Information für das weitere Vorgehen sei. Mundt schlug vor, mit den für Datenschutz Verantwortlichen auf Landesebene über das Thema zu sprechen.
Fazit des Treffens war für alle Teilnehmenden: In den vergangenen Jahren ist viel beim Thema Gewaltschutz passiert, aber es gilt, noch etliche weitere Maßnahmen anzuschieben.
Zum Hintergrund:
Die AWO hat fast 1000 Fälle häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr bearbeitet. Die Region Hannover ist dabei kein Ausreißer, wie die bundesweiten Zahlen belegen: 240.547 Menschen waren 2022 Opfer von häuslicher Gewalt, rund 8,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Text & Foto: Christian Degener/AWO