Region Hannover. Carl möchte im Kreativraum malen, Sophia will im Bewegungsraum klettern; Tim, der gerade noch mit den beiden gespielt hat, will sie nicht begleiten, er spielt lieber weiter mit seinem Lieblingsspielzeug. Kein Problem: Die drei Kita-Kinder dürfen sich ihre Beschäftigung aussuchen – und auch mit wem und wo sie spielen. Dieses pädagogische Konzept ist Teil der sogenannten Offenen Arbeit in den Kitas der AWO Region Hannover. Zwei unserer Mitarbeitenden sind jetzt als Fachkräfte für die Offene Arbeit zertifiziert worden.
„Wir wollen immer mehr unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Expertinnen und Experten der Offenen Arbeit ausbilden lassen“, sagt Heike Rahlves, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Tageseinrichtungen für Kinder bei der AWO. Sie und ihr Kollege Bastian Altvater, der die AWO Kita Gorch-Fock-Straße in der List leitet, sind die ersten mit einem Zertifikat. Sie haben an einer mehrwöchigen Fortbildung teilgenommen und eine Abschlussarbeit geschrieben. „Die offene Arbeit ist eine Kind-zentrierte Pädagogik, in deren Mittelpunkt die Rechte und Bedürfnisse der Kinder stehen. Sie ermöglicht den Kindern wichtige Freiräume und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung – das ist wichtig für ihre weitere Entwicklung“, betont Rahlves. Das Konzept sei ein Fortschritt in der frühkindlichen Pädagogik und Teil der Bemühung, die von der UN-Kinderrechtskonvention definierten Kinderrechte in den Kitas zu implementieren.
Früher gab es in den Kitas feste Gruppen, in denen die Kinder auf Grund ihres Alters aufgeteilt waren – jeder Gruppe wurde ein Raum zugeteilt und feste Erzieher/innen. Mit der Offenen Arbeit wurden diese starren Strukturen erstmals Ende der 70er-Jahre aufgebrochen – seitdem erfreut sich das Konzept stetig wachsender Beliebtheit. „Offene Arbeit bedeutet in erster Linie: offen sein für die Kinder; offen sein für ihre aktuellen Bedürfnisse und Interessen – aber auch offen dafür zu sein, wo sie sich aufhalten wollen“, so Rahlves. Deshalb gibt es in den AWO Kitas Themenräume und -bereiche, zum Beispiel einen Kreativraum, einen Bewegungsraum, Versorgungs- bzw. Essensbereiche, einen oder mehrere Rückzugs- bzw. Ruheräume und am besten ein Außengelände, auf dem die Kinder frei spielen können.
Auch starre Tages- und Wochenpläne sucht man bei der Offenen Arbeit vergebens. Doch was bedeutet dieses Konzept für den Alltag der Mitarbeitenden? Dem pädagogischen Fachpersonal komme die Rolle des Beobachters, Zuhörers, Lernbegleiters, Beraters und Unterstützers auf Augenhöhe zu. „Voraussetzung ist eine große Bereitschaft zur kollegialen Zusammenarbeit im Kita-Team, denn der regelmäßige Austausch untereinander ist das A und O, damit die offene Arbeit im Kita-Alltag auch wirklich funktioniert“, erklärt Rahlves. Jedes Kind hat eine Erzieherin beziehungsweise einen Erzieher als Bezugsperson, die sich sich selbst aussuchen dürfen. „Auch hier werden die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt“, betont Rahlves.
Selten würden Kinder in einer offenen Einrichtung ständig hin und her laufen. „Das könnte bedeuten, dass sie noch keine Bezugspersonen und Spielfreundinnen gefunden haben oder nicht zur Ruhe kommen“, sagt Rahlves. Oder das Konzept werde unterbrochen durch Regeln, die mit der offenen Arbeit nichts zu tun haben: Zum Beispiel werden alle Kinder nach dem Mittagessen aufgefordert auf das Außengelände zu gehen. Unabhängig davon womit sie gerade beschäftigt sind und was sie gerade interessiert.
Die Corona-Pandemie hat die Offene Arbeit in den Kitas der AWO Region Hannover eingeschränkt. „In unseren Kitas wurden wieder veraltete Konzepte mit festen Gruppen und Räumen gelebt, was den Spiel- und Bewegungsraum der Kinder stark eingeschränkt hat. Selbst das Außengelände wurde zeitweise unterteilt. Das ist pädagogisch ein großer Rückschritt“, erklärt Rahlves.
Text/ Foto: Christian Degener/ AWO