Dieses traurige Haus symbolisiert häusliche Gewalt. Illustration: Maja Bächle

„Er hat sich bei mir eingenistet“

Magazin AWO ImPuls - Schwerpunkt Gewalt: Karin M.* ließ ihren Freund bei sich einziehen und erlebte häusliche Gewalt

Region Hannover/Hannover. „Lass es uns probieren“. Karin M.* war gerade ein Jahr mit ihrem neuen Partner zusammen, als sie beschlossen, zusammenzuziehen. Beide seien verliebt und glücklich gewesen. Frank* sei dann zu ihr nach Hause gezogen, weil es mit einer neuen gemeinsamen Wohnung nicht geklappt hat, erzählt die 53-Jährige. Nach und nach habe sich dann ihre Beziehung verändert. Es fing mit banalen Dingen an. „Er stellte Gegenstände in der Wohnung um – ohne mich vorher zu fragen.“ Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, hatte er wieder etwas verändert oder weggeräumt. Ihren Einwand, dass ihr der Stil, wie sie die Wohnung eingerichtet hatte, wichtig sei und sie darauf Wert lege, habe er ignoriert. Auf ihren Ärger reagierte er mit Beschimpfungen und machte weiter. „Er wollte alles umkrempeln – über die Wohnung und mein Leben bestimmen und mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.“ Außerdem sei Frank kaum noch nach draußen gegangen und immer zu Hause gewesen. „Er hat sich bei mir eingenistet und festgesetzt“, war ihr Gefühl.

Zuerst konnte sie gar nicht glauben, was da gerade passiert, sagt Karin M., die zwei Kinder mit ihrem Exmann großgezogen hat, 20 Jahre als selbstständige Geschäftsfrau tätig war und Leitungsfunktionen innehatte. „Ich hatte mein Leben im Griff.“ So sei sie doch gar nicht, sich alles aus der Hand nehmen zu lassen. „Ich konnte in meiner Wohnung nicht mehr ich sein.“ Auch habe Frank dauernd versucht, Streit anzufangen – wegen Banalitäten, Kleinigkeiten. “Er wusste genau, wie er mich treffen konnte und versuchte, mich klein zu machen.“ Denn Karin M. hatte Angst vor einer Trennung, Angst, alleine zu sein. Er habe ihre Verlustängste ausgenutzt und gegen sie eingesetzt. Sie fühlte sich immer schwächer und ohnmächtiger.

„Das ganze Schöne in meinem Leben war weg“, sagt Karin M. leise. Irgendwann hätte sie auf dem Balkon gestanden und darüber nachgedacht, zu springen. Da hat sie Angst bekommen – sie, die eigentlich ein lebenslustiger Mensch ist. Sie habe dann nur noch den Gedanken gehabt, ihn aus der Wohnung herauszubekommen. Der Entschluss festigte sich: Karin M. wollte sich räumlich trennen – er sollte ausziehen. Die Beziehung könnten sie ja auch so weiterführen, schlug sie ihm vor. „Ich war immer noch verliebt – er hatte ja auch diese andere nette, charmante Seite. Aber Frank wollte nicht ausziehen. Er beschimpfte, bedrohte und beleidigte sie. Immer wieder.

„Ich kriege diesen Mann nicht aus meiner Wohnung heraus.“ Dieses Gefühl wurde bei Karin immer mächtiger und stärker. Sie wusste keinen Ausweg mehr. Mit Freunden und ihrer Familie hat sie wenig über ihre Situation gesprochen. Karin wollte ihre erwachsenen Kinder und ihre Eltern heraushalten, sie nicht damit belasten. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung, welche Rechte ich habe und wie ich mich verhalten kann. Ich wusste nur, dass er aus meiner Wohnung ausziehen soll.“ Dann habe sie gegoogelt „Ich habe einen Stalker zuhause“ und sei auf die AWO Frauenberatungsstelle gekommen. „Gleich am nächsten Tag hatte ich einen Termin“, erzählt Karin M. Und seitdem ging es bergauf.

Karin M. ist einige Wochen lang einmal wöchentlich zur Beratung gegangen. Jedes Mal sei sie gestärkter wieder herausgekommen. Gemeinsam mit AWO Frauenberaterin Sarah Ogiermann hat sie ihre Situation und Gefühle reflektiert und Handlungsmöglichkeiten entwickelt. Karin M. wusste jetzt, dass sie als Hauptmieterin der Wohnung das Recht hatte, Frank innerhalb der gesetzlichen Frist zu kündigen. Sie hatte die Hoffnung, dass sich durch eine räumliche Trennung, die Beziehung wieder verbessern würde.

Frank habe die Kündigung mit dem vereinbarten Auszugstermin zwar akzeptiert, sich aber nicht an die Absprachen gehalten und immer wieder versucht, weiter Druck aufzubauen, wie Karin M. erzählt. Der Alltag in der Wohnung gestaltete sich zunehmend schwieriger. Er fing wieder an, sie beim Streiten zu filmen. „Ich möchte das nicht, höre bitte auf damit“. Durch die Beratung fühlte Karin M. sich gestärkt, ihre Wünsche zu formulieren. Als er dann trotzdem weiterfilmte, habe sie ihm das Handy weggenommen. Da sei Frank ausgerastet.“ Er habe sie geschlagen und gewürgt. „Ich konnte mich vor lauter Angst nicht wehren“, beschreibt sie die Situation. Er habe sie dann losgelassen, sie sei aufgestanden und aus der Wohnung gegangen. „Ich war völlig durcheinander, bin ins Auto gestiegen und irgendwie gefahren. Am nächsten Morgen ist Karin M. zu ihrer Ärztin gegangen, die ihre Verletzungen dokumentiert, sie krankgeschrieben und dringend geraten hat, zur Polizei zu gehen. Zwei Beamte sind dann mit ihr nach Hause gefahren und haben ihn aus der Wohnung gewiesen – erst einmal für sieben Tage.

Es zeige sich immer wieder, wie gefährlich Trennungssituationen für die Frauen sein können, betont Ogiermann. Darum sei es wichtig, für jede betroffene Frau, eine individuelle Sicherheitsplanung zu machen. Mit Unterstützung der Frauenberatungsstelle hat Karin M. dann einen Antrag auf Gewaltschutz mit Wohnungszuweisung gestellt. Durch das Amtsgericht wurde ein Kontakt- und Näherungsverbot für den Täter ausgesprochen.

Karin M. ist stolz, dass sie es geschafft hat, aus der Beziehung herauszukommen. „Ich habe gelernt, auf meine Grenzen zu achten.“ Sie passe seitdem sehr gut auf sich auf. Durch die AWO Frauenberatung habe sie während des Trennungsprozesses sehr viel Hilfe und Unterstützung erhalten und wieder gespürt, wie viel Kraft und Stärke sie in sich hat. „Das Erlebnis hat mich bewusster gemacht.“

*Namen redaktionell geändert

Tipp:
Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) gibt es seit 2002 und besagt „Wer schlägt muss gehen.“ Von häuslicher Gewalt betroffene Menschen können vor Gericht ein Kontakt- und Näherungsverbot erwirken. Der Täter/die Täterin muss bei einem Kontakt- und Näherungsverbot mit Wohnungszuweisung die gemeinsam genutzte Wohnung verlassen und hat Kontaktaufnahmen zu unterlassen.
Die Frauenberatung der AWO Region Hannover vergibt bei Gewalt möglichst am nächsten Werktag einen Termin.

Text: Gaby Kujawa/AWO, Illustration: Maja Bächle

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