Der Druck wächst: Viele Schülerinnen und Schüler wissen nicht, welchen Beruf sie später ergreifen sollen und haben Angst, sich für eine falsche Richtung zu entscheiden. Seit drei Jahren gibt es in der Region Hannover ein erfolgreiches Modellprojekt, das Schülern helfen soll: die Ausbildungslotsen. Sarah Blumenthal ist eine von sechs Ausbildungslotsinnen bei der AWO, die an sieben Schulen in der Region untergebracht sind. Die 33-Jährige unterstützt Schülerinnen und Schüler der Ricarda-Huch-Schule (Gymnasium) und der Bertha-Suttner Haupt- und Realschule bei der Praktikums- und Berufsorientierung.
Eigentlich möchte er Tischler werden, doch seine Eltern, beide Akademiker, machen Druck: Der Sohn soll studieren, so wie sie. Am Ende fällt er durch das Abitur und will erst recht eine Ausbildung beginnen. „Die Eltern wollten natürlich nur das Beste für ihr Kind. Aber es hat den ohnehin hohen Leistungsdruck, der heutzutage herrscht, noch erhöht“, berichtet Blumenthal. Es sei kein Einzelfall, den sie da erlebt hat. Hinzu komme die immer wieder gerade an Gymnasium verbreitete Meinung „Ohne Abitur bist Du nichts“. Die Ausbildungslotsin hat ein eigenes Büro in den beiden Schulen, in denen sie tätig ist. Hier empfängt sie die Schüler, hier kann sie mit ihnen in Ruhe sprechen. Für manche sei es ein großer Schritt, sich an die Arbeitsagentur zu wenden – einige hätten Angst, dorthin zu fahren. „Unser Angebot ist niedrigschwellig, da ich hier vor Ort bin und die Schülerinnen und Schüler über längere Zeit Vertrauen zu mir aufbauen“, sagt Blumenthal.
Ihr Job ist es herauszufinden, was die Schülerinnen und Schüler wirklich wollen und sie dabei zu unterstützen. „Wir sind Prozessbegleiter“, sagt Blumenthal. Gerade im Alter zwischen 15 und 18 Jahren wechsele der Berufswunsch zum Teil mehrfach. Kurz vor den Zeugnissen sei der Andrang bei ihr am größten. „Dann muss geplant werden – entweder müssen sie sich um einen Ausbildungsplatz bemühen oder um ein Praktikum“, sagt Blumenthal. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler gar keine Idee zur beruflichen Zukunft hat, fragt Blumenthal zunächst nach den allgemeinen Interessen. Dann macht sie Vorschläge. „Die Schüler sollen ihren Berufswunsch selbst entwickeln – sie dürfen nicht dazu gedrängt werden“, betont sie. „Andere brauchen oftmals nur einen kleinen ,Schubs’.“
Blumenthal ist gelernte Ergotherapeuten und arbeitete zunächst im Schulvermeidungsprojekt der AWO Region Hannover, bevor sie Ausbildungslotsin wurde. In ihren beiden Schulen sei sie gut integriert, in den Pausen spreche sie mit den Lehrerinnen und Lehrer, die ihr Angebot sehr gut angenommen hätten. „Ich bin die Schnittstelle zwischen Schule und Berufswelt“, sagt Blumenthal. Die Vernetzung mit Unternehmen und Organisationen wie der Industrie- und Handelskammer klappe gut – auch die Zusammenarbeit mit dem Projekt „IT macht Schule“ der Region Hannover. „Unternehmen kommen mittlerweile auch auf mich zu und fragen, ob ich jemanden kenne, der an einem Praktikums- oder Ausbildungsplatz interessiert ist“, berichtet Blumenthal.
Das Projekt „Ausbildungslotsen“ der Region Hannover und der Bundesagentur für Arbeit ist zunächst bis 2021 bewilligt. Fünf Millionen Euro fließen bis dahin in das Projekt. Blumenthal hofft, dass es fortgesetzt wird. Es sei wichtig, die Schülerinnen und Schüler frühzeitig bei der Berufsorientierung zu unterstützen. „So können persönliche Krisen und Abbrüche in der Schul- und Berufslaufbahn vermieden werden. Vorsorge ist besser als Nachsorge“, betont Blumenthal.
Was mag die Ausbildungslotsin an ihrem Job? „Ich freue mich über die vielen Erfolgserlebnisse der Schüler.“ Wenn bei einem Schüler beispielsweise das Praktikum so gut gewesen ist, dass er gleich einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen hat, oder wenn ein Schüler nach langer Orientierungsphase ein Ziel für sich gefunden hat.