Die beiden Frauen berichten hinter einem Vorhang von ihrer Gewalterfahrung. Nur ihre Schatten sind zu sehen.

Der lange Schatten der Gewalt

Kooperation zwischen dem Orchester im Treppenhaus und dem AWO Frauenhaus thematisiert häusliche Gewalt

Hannover-Nordstadt. Der Raum ist in stimmungsvolles Licht getaucht. Zwei Frauen stehen hinter einer Leinwand und nur ihre Silhouetten sind als Schatten zu sehen. So können sie anonym schildern, was ihnen widerfahren ist: Gewalt in der Partnerschaft. Dort also, wo sie sich am sichersten fühlen sollten, in den eigenen vier Wänden, wurden sie von dem Menschen attackiert, der ihnen am nächsten sein sollte. „Das Geschehene wird mich ein Leben lang begleiten, manches Mal träume ich noch davon“, sagt eine der beiden Frauen, deren Gewalterfahrung mittlerweile mehr als zehn Jahre zurückliegt. „Ich habe danach jahrelang gebraucht, um mich zu finden“, berichtet die zweite Frau. Kurz darauf erklingt klassische Musik: Das „Orchester im Treppenhaus“ umrahmt die Erzählungen der Frauen. Mit rund 50 Gästen ist die Rampe in der Nordstadt ausverkauft. Die Aufführung ist Teil der „Schattenkonzerte“ des Orchesters und sie steht an diesem Abend im Zeichen des Tags gegen Gewalt an Frauen, der jedes Jahr am 25. November begangen wird. Und sie ist eine Kooperation mit dem Frauenhaus der AWO Region Hannover, das die beiden Frauen damals aufgenommen und sie auf ihrem Weg aus der Gewalt und zurück in ein selbstbestimmtes Leben unterstützt hat.

Beide Frauen erzählen abwechselnd, aufgeteilt in elf Kapiteln, wie ihre Beziehung begann, wann sie gewalttätig wurde, was das mit ihnen gemacht hat, wie sie körperlich und psychisch über Jahre misshandelt wurden und wie sie es geschafft haben, dieser Gewaltspirale zu entfliehen. Jana M.* (Name geändert) wurde elf Jahre lang von ihrem Freund verprügelt und eingesperrt. Dabei habe ihre Beziehung so romantisch begonnen. Ein Kurzurlaub in Deutschland, es funkte, sie zog hierher. „Er war so witzig, ich war schnell verliebt.“

Die erste Zeit sei wunderschön gewesen, die beiden schmieden Pläne, kaufen ein Haus. Sie geht arbeiten, er bleibt zu Hause. Doch nach einiger Zeit bemerkt sie, wie er sich verändert: Er findet keinen Job, ist häufig betrunken und es kommt zu Streits. Er hatte immer schon gern Alkohol getrunken, aber irgendwann betrinkt er sich schon nachmittags. Ihre Streits werden immer heftiger – und plötzlich körperlich. Es fängt mit einer Ohrfeige an, die sie ihm verzeiht. Kann mal passieren, denkt sie sich. Doch je mehr er trinkt, desto schlimmer seine Attacken: Dann, nach einem Streit, wird M. zum ersten Mal von ihm verprügelt – ihr ganzer Körper ist am nächsten Tag mit blauen Flecken übersät. „Ich habe tagelang geweint und konnte nicht zur Arbeit gehen“.

Nun legt er all seine Hemmungen ab. Manches Mal prügelt er gleich nach dem Aufwachen auf sie ein, einmal schlägt er sie bewusstlos. Ebenso schlimm wie die körperlichen Angriffe sei die psychische Gewalt gewesen. Ständige Eifersucht und Kontrollsucht bestimmen ihr Leben, das sie nur noch als Gefängnis wahrnimmt. Er legt fest, mit wem sie sich treffen darf, fährt sie hin und holt sie ab. Und immer wieder Streits und Prügelattacken, Tage, in denen sie das Haus nicht verlassen kann wegen der blauen Flecke. Die Gewaltspirale dreht sich noch Jahre weiter, doch eines Tages entdeckt sie die das Angebot des AWO Frauenhauses. „Da war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mir gesagt habe, ich lasse mich nicht mehr wie ein Hund behandeln. Ich bin immer noch ein Mensch.“ Nach einem erfolglosen Versuch gelingt ihr beim Zweiten die Flucht ins Frauenhaus. Das habe sie gerettet – die AWO habe ihr geholfen, ein neues Leben zu beginnen.

Natalie L.* (Name geändert)  kommt als Au-Pair nach Deutschland. Sie hat ein Einser-Abitur, einen sehr guten Bachelor-Abschluss und findet hier sofort einen Master-Studienplatz. Die Kirche spielt eine große Rolle in ihrem Leben – beim Besuch eines Gottesdienstes lernt sie ihren zukünftigen Mann kennen. Zunächst unterstützt sie ihn finanziell. Nachdem er sein Studium beendet hat und Geld verdient, fängt er an, seine Macht auszuspielen, beleidigt und erniedrigt. Sie sei hässlich, dumm, und könne nichts, sagt er. Immer und immer wieder.

Sie weiß nicht mehr, wie sie sich verhalten soll, Angst wird zu ihrem ständigen Begleiter. Mal ist sie ihm zu still und er zeigt ihr das mit Gewalt, mal zu fröhlich. Dann wird sie schwanger. Doch seine Prügelattacken hören nicht auf. „Was kann man als Frau falsch gemacht haben, dass man in der Schwangerschaft geschlagen wird“, fragt sie sich. Zu verstehen, dass sie keine Mitschuld trägt, sei ein langer Prozess gewesen. Schließlich habe er auch eine gute Seite und sie hofft lange, dass er sich ändert. Als sie ein zweites Mal schwanger wird und ihre Frauenärztin die blauen Flecken in ihrem Gesicht sieht, ist das der Wendepunkt: Die Medizinerin verständigt mit ihrem Einverständnis das AWO Frauenhaus, wo sie zwei Jahre verbringt. Dort trifft sie Frauen aus allen Schichten und unterschiedlicher Herkunft. Hier habe sie gemerkt, dass sie nicht allein mit ihrem Erlebten ist. „Die anderen kämpfen, Du musst auch kämpfen“, habe sie sich gesagt.

Was bleibt? Auch wenn man diese Erlebnisse nie vergessen könne, so seien sie gestärkt daraus hervorgegangen. Und stolz, sich aus dieser Situation befreit zu haben. Am Ende des Abends gibt es viel Applaus – für die Musik des Orchesters, aber vor allem auch für die beiden Frauen auf der Bühne: Für ihren Mut, über das Erlebte zu sprechen und damit auch Betroffenen Mut zu machen, sich aus der Gewalt zu befreien.

Text&Fotos: Christian Degener/AWO

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