Fariba G.: "Im Iran habe ich keine Chance gehabt." 

„Beleidigungen gehörten zur Tagesordnung“

Fariba G. ist mit ihrem Sohn aus dem Iran geflüchtet. Die blinde Frau möchte sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen. 

Region Hannover/ Hannover. „Es fühlt sich gut an, hier zu sein“, sagt Fariba G. Sie freue sich, diese zweite Chance zu haben. Die 51-Jährige sitzt auf dem Sofa in einer Flüchtlingsunterkunft der Stadt Hannover, die die AWO Region Hannover in Kooperation mit der Caritas betreibt. Fariba G. ist es wichtig, ihre Geschichte zu erzählen – was sie erlebt hat und warum sie aus dem Iran geflüchtet ist. Am 20. September vergangenen Jahres ist sie mit ihrem Sohn in Deutschland angekommen – aus Isfahan, einer Großstadt im Zentral-Iran, über die Türkei, mit einem Boot nach Italien, dann weiter nach Frankreich. „Wir waren vier Monate unterwegs.“

Im Iran habe sie es nicht mehr ausgehalten. Als behinderte Frau sei sie wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt worden, sagt Fariba G., die im Alter von 20 Jahren ihr Sehvermögen verloren hat. Durch anhaltende körperliche und psychische Belastungen, wie sie erklärt. „Ich war damals stark bei der Pflege meines verstorbenen Vaters und im Haushalt eingespannt.“ Verbunden mit einer genetischen Veranlagung habe sie durch den dauerhaften Stress erst ihr Sehvermögen auf dem linken und dann auf dem rechten Auge verloren. Seitdem gehörten Beleidigungen für sie zur Tagesordnung. „Ich wurde als blinde Frau nicht als gleichberechtigt anerkannt“. Das habe sie sehr verletzt und traurig gemacht. Auch ihr Ehemann habe sie schlecht behandelt, sie beschimpft, und ihr verboten zu arbeiten – bis sie irgendwann die Scheidung eingereicht hat. „Ich konnte alles beweisen – seine Beleidigungen und Beschimpfungen über WhatsApp und per SMS-Nachrichten – und auch, dass ich in der Lage war, finanziell für meinen Sohn zu sorgen“, berichtet Fariba G, die damals in der Telefonzentrale eines Krankenhauses in Isfahan gearbeitet hat. Der Scheidungsprozess sei schwierig und kompliziert gewesen. Aber das Gericht habe die Scheidung vollzogen und ihr auch das Sorgerecht für den Sohn zugesprochen. „Ich bin stolz darüber, es geschafft zu haben.“

In Deutschland habe sie zum ersten Mal in ihrem Leben Wertschätzung erfahren. Gleich bei der Ankunft, wie sie erzählt: „Obwohl wir keine Papiere hatten, hat die Polizei uns geholfen, uns ins Krankenhaus begleitet und uns respektvoll behandelt.“ Diese Hilfsbereitschaft sei ihr seit ihrem Ankommen überall begegnet. Besonders hier in der Unterkunft erfahre sie viel Unterstützung und Fürsorge durch die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. „Ich möchte hierbleiben, nie wieder in den Iran zurückgehen“, sagt Fariba G.

Zurzeit ist der Alltag von Fariba G. bestimmt durch Behördengänge, Arztbesuche oder dem Ausfüllen von Anträgen und Formularen. Sozialarbeiterin Philine Tampe organisiert und vereinbart Termine zur Klärung ihrer gesundheitlichen und persönlichen Situation, bei der Bank zur Kontoeröffnung oder zur Beratung über ambulant betreute Wohnformen. Es gebe sehr viel zu erledigen, sagt die AWO Mitarbeiterin. Dazu gehöre auch abzuklären, welche Rechte sie hat und welche finanziellen Hilfen und Leistungen ihr zustehen, Die Hilfe zur Selbsthilfe sei dabei ganz wichtig. „Wir unterstützen sie dabei, ihre Angelegenheiten selber zu regeln“, wie Tampe betont. Im Moment wartet Fariba G. darauf, an einem Mobilitätstraining teilzunehmen. Der Antrag liegt beim Sozialamt und muss noch genehmigt werden. Durch ein gezieltes Training mit dem Stock lerne sie sicherer durch den Alltag zu kommen und selbstbestimmter am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wie Tampe betont. Momentan sei sie noch sehr darauf angewiesen, dass sie jemand begleitet. „Darüber hinaus versuchen wir für sie, einen Platz an einer Sprachschule für blinde Menschen zu organisieren“, berichtet Tampe. Bis dahin setzt sich Fariba G. mit Hilfe von Lernvideos auf YouTube mit der deutschen Sprache auseinander und besucht hin und wieder den niederschwelligen Deutschkurs, der in der Unterkunft angeboten wird.

Am Wochenende, wenn keine Termine anstehen, geht Fariba G. sonntags gerne in die Kirche und samstags manchmal zu einer Demonstration gegen das Regime im Iran. „Außerdem kümmere ich mich um meinen Sohn“, erzählt sie. Der 16-Jährige besucht eine Sprachlernklasse und möchte nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium machen. Er habe hier ganz andere Möglichkeiten als im Iran und eine bessere Perspektive, freut sich Fariba G.

Für die Zukunft wünscht sich Fariba G. eine Ausbildung zu machen, zum Beispiel als Masseurin: „Damit ich später in diesem Berufsfeld arbeiten kann.“ Ihr Ziel sei es in Deutschland unabhängig von staatlichen finanziellen Leistungen leben und für sich und ihren Sohn sorgen zu können, wie sie betont. Sie hoffe, dass sie bald einen Platz an der Blindenschule bekommt und mit dem Mobilitätstraining beginnen kann. Mit der notwendigen Unterstützung sei sie in der Lage, ihr Leben selbstständig zu meistern und den Alltag zu regeln, ist sich Fariba G. sicher. „Im Iran habe ich dazu keine Chance gehabt.“

„Fariba G. möchte Fuß fassen und wirklich ankommen – das bekommen wir hier tagtäglich mit“, sagt Tampe. Sie ginge auf die Menschen zu und sei sehr aufgeschlossen. „Immer, wenn sie unterwegs war, erzählt sie uns von neuen Begegnungen.“ Die Möglichkeit, aufgrund ihrer Schwerbehinderung in eine kleinere Unterkunft – einem Hotel mit einer besseren Ausstattung und Fahrstuhl – zu wechseln, habe sie abgelehnt, erzählt Tampe. „Weil ich mich hier sehr aufgehoben fühle“, sagt Fariba G. mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Text & Fotos: Gaby Kujawa/AWO

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