Marga Rahe, 96, lebt in der Seniorenresidenz der AWO in Sehnde.

„Ich wünsche mir, dass Menschen, die Hilfe brauchen, nicht das Gefühl haben müssen, sie seien eine Last“

Neue Ausgabe der AWO ImPuls mit dem Fokus Pflege: Eine Pflegeheimbewohnerin berichtet von ihrem Alltag

Region Hannover/ Hannover. Was bedeutet Pflege – für diejenigen, die sie brauchen, für Angehörige und für die, die sie täglich leisten? Wir haben drei Menschen gebeten, aus ihrem Alltag in verschiedenen AWO-Seniorenresidenzen zu erzählen. Teil 1: Marga Rahe, 96, die in der Seniorenresidenz der AWO in Sehnde lebt.

Sie erzählt, wie sie nach einem langen, selbstständigen Leben den Übergang in die Pflege erlebt – mit Gelassenheit, Dankbarkeit und klaren Worten. Ich habe mein Leben lang alles selbst gemacht – gekocht, gewaschen, geputzt, sogar für meinen erwachsenen Sohn, nachdem der geschieden worden war. Aber irgendwann geht es nicht mehr allein. Seit Anfang des Jahres wohne ich im Pflegebereich hier im Haus. Davor hatte ich viele Jahre eine eigene Wohnung im betreuten Wohnen – das war mir wichtig, denn ich wollte meinen Kindern nie zur Last fallen. Ich wollte unabhängig bleiben, so lange es ging. Ich wollte nie, dass meine Kinder abends sagen müssen: „Wir müssen zu Hause bleiben, weil Mutter allein ist.“

Jetzt bekomme ich ein bisschen mehr Unterstützung, und das ist in Ordnung. Ich bin froh, dass ich bleiben konnte, wo ich mich bereits auskenne. Ich habe hier alles, was ich brauche. Morgens werden wir um sechs geweckt, um acht gibt es Kaffee, mittags warmes Essen und nachmittags Kaffee und Kuchen. Die Pflegerinnen kommen sofort, wenn man Hilfe braucht, und fragen, ob alles in Ordnung ist. Sie sind immer nett und herzlich, das weiß ich sehr zu schätzen. Ich bekomme meine Tabletten, werde beim Anziehen unterstützt und kann trotzdem vieles noch selbst machen – meine Wäsche sortieren, mich waschen, meine Sachen ordnen.

Geboren bin ich in Misburg, wir waren sieben Kinder. Im Krieg sind wir ausgebombt worden, ich war damals noch ein Mädchen. Nach der Schule habe ich eine kaufmännische Lehre begonnen – eigentlich wollte ich Friseurin werden, aber meine Mutter meinte: „Nicht alle Leute haben gewaschene Haare.“ Also habe ich in einem kleinen Betrieb gearbeitet, im Keller Tüten geklebt, Zucker und Mehl abgewogen. Später habe ich geheiratet, drei Söhne bekommen und immer mit angepackt – zu Hause, bei der Arbeit, im Garten. Mein Mann war bei der Freiwilligen Feuerwehr – er sah gut aus, hatte glänzende Haare. „Den nimmst du!“, hat meine Mutter damals gesagt, „der ist so fein.“ Wir hatten ein gutes Leben, wir haben viel gearbeitet und gespart, damit es uns und den Kindern einmal gut geht.

Heute bin ich dankbar, dass ich hier versorgt bin und trotzdem vieles selbst bestimmen kann. Wenn ich etwas brauche, bekomme ich es: Seife, Shampoo, Einlagen – alles, was nötig ist. Die Pflegerinnen hier sind alle wunderbare Menschen, so sehe ich das. Manchmal wünsche ich mir, sie hätten etwas mehr Zeit, sich einfach dazuzusetzen oder mit uns ein paar Schritte nach draußen zu gehen. Sie haben aber viel zu tun, müssen gleichzeitig waschen, helfen, Medikamente bringen, Essen verteilen – und bleiben dabei immer liebenswürdig. Ich habe auch das Glück, dass ich täglich Besuch bekomme: von meinen Söhnen, Enkeln und Enkelinnen – und mein Bruder lebt sogar im selben Haus, nur ein Stockwerk höher. Wir sehen uns oft, tauschen ein paar Worte, das ist schön.

So fühle ich mich nie allein. Wenn das Wetter schön ist, gehe ich abends noch ein Stück spazieren. Bewegung tut gut, und man sieht noch ein bisschen Leben draußen – Autos, Kinder, manchmal auch Musik aus einem offenen Fenster. Ich blicke mit Dankbarkeit auf mein Leben: Ich habe viel erlebt, und es ist gut, wie es ist. Gute Pflege bedeutet für mich, dass man freundlich zueinander ist und sich Zeit nimmt. Mehr braucht es eigentlich nicht. Pflege ist teuer, das weiß ich. Mein Mann und ich haben immer darauf geachtet, etwas zurückzulegen, damit wir uns im Alter Unterstützung leisten können. Nicht alle haben dieses Glück. Ich wünsche mir, dass Menschen, die Hilfe brauchen, nicht das Gefühl haben müssen, sie seien eine Last.

Text: Julia Meyer-Hermann, Fotos: Christian Degene/AWO

 

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