Peter Märtens

„Den Start in ein selbstständiges und erfülltes Leben ermöglichen“

Interview mit dem Sozialpädagogen Peter Märtens über die Arbeit der AWO Einrichtung Jugendwohnen

Region Hannover/ Hannover. Der Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter ist eine prägende Zeit, in der viele Weichen gestellt werden. Junge Menschen stehen in dieser Phase vor Herausforderungen wie schulische und berufliche Perspektiven, Selbstfindung und den ersten Schritten in die Selbstständigkeit. In der aktuellen Ausgabe unseres Magazins „AWO ImPuls“ beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit dem Thema „Was junge Menschen bewegt“. Sozialpädagoge Peter Märtens erklärt im Interview, welche Faktoren entscheidend sind, damit junge Menschen ihren Weg finden und welche Rolle dabei die Jugendwohnbegleitung spielt.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich junge Menschen, zum Beispiel auch geflüchtete Jugendliche wie Mamadou, ein eigenständiges leben aufbauen können?

Sich allein in Deutschland zurechtzufinden, ist in unserem komplexen bürokratischen System sehr schwierig. Vor allem, wenn noch Sprachbarrieren hinzukommen. Vielen jungen Menschen, die zu uns in die Jugendwohnbegleitung kommen, fehlt ein festes Zuhause und eine Tagesstruktur. Sie benötigen Unterstützung – sei es bei behördlichen Angelegenheiten oder der Stärkung ihres Selbstbewusstseins. Zudem ist es wichtig, dass sie sich in der neuen Kultur zurechtfinden, die oft stark von ihrer Herkunftskultur abweicht. Bildung sowie der Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten sind ebenfalls entscheidend. Wichtig ist auch, dass sie sich soziale Netzwerke aufbauen können, damit sie sich nicht isoliert fühlen.

Welche Unterstützung benötigen sie, um sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden und zu integrieren?

Die Bedürfnisse sind individuell verschieden. Die einen brauchen Unterstützung in die eine Richtung, die anderen mehr in die andere. Das versuchen wir mit ihnen gemeinsam herauszufinden. Ein zentrales Element ist die Unterstützung bei Behördengängen, sei es zum Jobcenter, zur Familienkasse, BAföG-Stelle oder zu anderen Ämtern. Das Amtsdeutsch ist oft selbst für uns schwer verständlich, daher benötigen die Jugendlichen hier besonders viel Hilfe, um sicherzustellen, dass ihre Anträge vollständig und korrekt eingereicht werden. Dies ist entscheidend für ihre Grundsicherung, den Erhalt einer Wohnung und die Bewerbung um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze.

Wer nimmt das Angebot der Jugendwohnbegleitung in Anspruch?

Hauptsächlich sind es junge Menschen, die aufgrund familiärer Probleme nicht mehr bei ihren Eltern leben können oder ihre Heimat verlassen mussten wie Mamadou. (Wie es Mamadou ergangen ist, erfahrt Ihr hier.) Ansonsten kommen sie aus allen Bildungsschichten. Die Grundvoraussetzung ist, dass sie im Elternhaus nicht mehr zurechtkommen und einen eigenen Wohnraum benötigen.

Wie wichtig sind feste Ansprechpartner*innen und Bezugspersonen im Alltag?

Feste Bezugspersonen sind essenziell, da sie den Jugendlichen Sicherheit und Kontinuität bieten, die viele unserer Klient*innen in ihrem bisherigen Leben nicht hatten. Diese Personen sind oft mehr als nur Berater, sie werden zu Vertrauenspersonen, die den jungen Menschen in schwierigen Situationen zur Seite stehen und bei wichtigen Entscheidungen helfen. Die Begleitung erstreckt sich über ein Jahr und kann auf anderthalb Jahre verlängert werden. Dies ermöglicht es, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Viele Jugendliche haben zuvor keine kontinuierliche Unterstützung erfahren, daher ist unsere konstante Präsenz für sie sehr beruhigend.

Welche Art der Betreuung und Begleitung hat sich als besonders hilfreich erwiesen, um den Übergang in ein eigenständiges leben zu erleichtern?

Wir beraten, unterstützen und helfen bei der Wohnungssuche, der Finanzierung, der Ausbildung und allen damit verbundenen sozialen und familiären Aspekten. Wir schauen gemeinsam, wie es weitergehen kann, dass sie vielleicht eine Ausbildung oder eine Arbeitsmaßnahme beginnen, dass der Schulbesuch weiter stabilisiert wird. Nicht jeder weiß sofort, wie man grundlegende Haushaltsaufgaben erledigt – zum Beispiel dass man, wenn man Wäsche aufhängt, auch ein Fenster öffnet, damit die Feuchtigkeit entweicht – oder wie man sein Geld einteilt, um sich am Ende des Monats noch etwas zu essen kaufen zu können. Wir helfen ihnen dabei, selbstständig zu werden. Voraussetzung ist jedoch ein gewisses Maß an Selbstbestimmung. Wenn jemand psychisch nicht in der Lage ist, selbstständig zu leben, vermitteln wir alternative Unterstützung wie betreutes Wohnen oder Therapieangebote.

Mamadou hat erzählt, dass er sich sehr unterstützt fühlte. Wie wichtig sind praktische Hilfen für die Weiterentwicklung der jungen Menschen?

Mamadou ist im Laufe der Zeit immer eigenständiger und unabhängiger geworden. Was er mit Ausbildung, Führerschein und allem erreicht hat, ist eine große Leistung. Praktische Hilfen sind absolut entscheidend. Viele Jugendliche sind mit den bürokratischen Hürden überfordert und benötigen Unterstützung, um ihre Rechte und Möglichkeiten wahrzunehmen. Ohne diese praktische Hilfe könnten viele sich nicht erfolgreich integrieren und ein selbstständiges Leben aufbauen. Die Begleitung zu Behörden und bei der Wohnungssuche ist hierbei besonders wichtig, da sie manchmal auf Vorurteile und Diskriminierung stoßen. Bei den Behörden haben wir oft die Erfahrung gemacht, dass, wenn die Jugendlichen alleine hingehen, sie gar nichts erreichen oder sogar abgewiesen werden. Wenn man dann zusammen hingeht, geht es plötzlich. Ich bezweifle, dass diskriminierendes Verhalten immer bewusst geschieht, mit der Absicht, den anderen schlechter zu behandeln. Aber es ist Alltag, dass eine Lisa Müller schneller an ihr Bürgergeld kommt als ein Ali oder ein Mohammed. Es kommt häufig vor, dass die Behörden sagen, dass bestimmte Dinge, wie zum Beispiel die Schulbescheinigung, nicht vorliegen. Dann rufe ich an, versuche das zu klären, weise zum Beispiel darauf hin, dass die Schulbestätigung schon per E­-Mail gesendet wurde. Dann wird noch einmal geschaut – ach ja, da ist sie ja, okay, dann können wir jetzt mit der Bearbeitung beginnen.

Was sind ihre langfristigen Ziele für die jungen Menschen?

Unser Ziel ist es, ihnen den Start in ein selbstständiges und erfülltes Leben zu ermöglichen. Sie sollen so stabilisiert werden, dass sie sich verlässliche soziale Netzwerke aufbauen können, eine Ausbildung oder Arbeit finden, sich in die Gesellschaft integrieren sowie glücklich und zufrieden leben können. Es gibt immer welche, mit denen ich länger in Kontakt bleibe, weil sie noch eine gewisse Nachsorge brauchen. Die kommen zwischendurch und haben Fragen zu bestimmten Themen oder wollen noch mal unsere Meinung hören. Langfristig sollen sie in der Lage sein, ohne unsere Unterstützung auszukommen.

Welche Rolle spielt der Kommunale Sozialdienst in der Jugendwohnbegleitung?

Der Kommunale Sozialdienst (KSD) vermittelt uns häufig die Jugendlichen. Der KSD erstellt auch die notwendigen Stellungnahmen, damit die Jugendlichen überhaupt von Zuhause ausziehen können. Ohne diese Stellungnahmen würde das Jobcenter den Antrag auf Bürgergeld häufig ablehnen.

Mit welchen Einrichtungen arbeiten Sie zusammen?

Wir arbeiten mit Inobhutnahmestellen, Wohnungsgenossenschaften und Obdachlosenheimen zusammen. Manche unserer Klient*innen werden von Zuhause rausgeschmissen und benötigen kurzfristig eine Unterkunft. Wir kooperieren auch mit Werkstattschulen und anderen sozialen Einrichtungen.

Gibt es spezielle Angebote, die die Jugendlichen noch mehr unterstützen können?

Die AWO bietet ein breites Spektrum an Unterstützungsangeboten, von Aufenthaltsstatusfragen bis hin zu Freizeitaktivitäten. Wir profitieren von diesem Netzwerk und können auf die Expertise anderer Fachkräfte in den unterschiedlichen Bereichen zurückgreifen.

Zur Person:

Peter Märtens arbeitete bis vor kurzem in der AWO Einrichtung Jugendwohnen im Stadtteil Linden als Sozialpädagoge. Ende August hat er gemeinsam mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter Deutschland verlassen, um in Nepal zu leben. Der 58-Jährige suchte nach einer Veränderung und wollte in einer anderen Gesellschaft und einer anderen Kultur leben.

Text/Foto/share pic: Gaby Kujawa/Christian Degener, AWO

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