Region Hannover/ Hannover. Jürgen Ostertag schlägt Alarm: Wenn die offene Jugendarbeit in Hannover künftig nicht besser finanziert wird, müssten Träger wie das AWO Jugendwerk ihre Angebote weiter einschränken. „Wir haben steigende Kosten, aber die Finanzierung bleibt bestenfalls gleich“, kritisiert der Geschäftsführer des Jugendwerkes der AWO Region Hannover. Die steigenden Kosten resultierten hauptsächlich aus den Tarifsteigerungen und dem Inflationsausgleich in den vergangenen Jahren. Somit bedeute eine gleichbleibende Finanzierung durch die öffentliche Hand, dass die Träger von Jugendarbeit irgendwo kürzen müssten. Deshalb fordert Ostertag von der Politik mehr finanzielle Unterstützung. Genauer gesagt: Er erwarte vom Rat der Stadt Hannover, dass er den Entwurf für den Doppelhaushalt 2025/26 korrigiert und die Zuschüsse für die Personalstellen der Träger dem tatsächlichen Bedarf anpasst.
„Um nicht bei den Personalstunden zu sparen, was eine Reduzierung der Öffnungszeiten unserer Jugendtreffs zur Folge hätte, haben wir zunächst die Mittel für frische Lebensmittel gekürzt“, berichtet Ostertag. Davon betroffen sei unter anderem der Jugendtreff Desperados in Davenstedt, in dem das gemeinsame Kochen mit den Jugendlichen ein festes und beliebtes Angebot ist. Auch bei den Ausflügen spare man bereits. Dies treffe vor allem Kinder und Jugendliche, die ohnehin finanziell benachteiligt sind. „Deren Eltern können sich schöne und spannende Ausflüge oder andere Freizeitangebote meist nicht leisten, weshalb sie auf Angebote wie unsere angewiesen sind“, betont Mitarbeiterin Arezu Djafari.
Das Desperados gibt es mittlerweile seit mehr als 25 Jahren: Man sei fest im Stadtteil verankert und gut mit den Badenstedter Schulen vernetzt. Täglich besuchen den zentral am Davenstedter Markt gelegenen Treff im Schnitt rund 35 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren. „Viele kommen täglich – das Desperados ist ihr Wohnzimmer“, so Djafari. Die offene Jugendarbeit biete im Hinblick auf pädagogische Aspekte den Vorteil, dass sie auf Freiwilligkeit beruht. „Die Kinder und Jugendlichen stehen bei uns nicht so unter Beobachtung und Druck wie in der Schule oder Zuhause – bei uns können sie mehr sie selbst sein und ohne Leistungsdruck lernen“, sagt Djafaris Kollegin Maria Dimitrouli. Man biete den Kindern Orientierung in einem geschützten Raum an und fördere die Demokratiebildung und gesellschaftliche Teilhabe.
Die soziale Arbeit, die in Treffs wie dem Desperados geleistet wird, sei sehr wertvoll, betont Ostertag. Doch die Politik kümmere sich oftmals erst dann um Jugendarbeit, wenn ein Stadtteil durch Jugendgewalt oder Kriminalität auffällt. „Unsere Arbeit bedeutet immer auch Prävention“, sagt Ostertag. Man sei aufgrund der Finanzierungslücke mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem sogar eine Schließung bzw. Zusammenlegung der Jugendtreffs drohe. Denn die Träger von Jugendarbeit hätten aufgrund der Stellenstruktur – oftmals handelt es sich um Teilzeitstellen – ohnehin schon Schwierigkeiten, Fachkräfte zu gewinnen. Der Fachkräftemangel verschärfe das Problem. „Das könnte in Zukunft dazu führen, dass wir Stellen teilen müssen und die Mitarbeitenden dann entweder an zwei Standorten arbeiten, unterschiedliche Jobs haben oder sie sich ihre gekürzte Stelle wegen der geringen Stundenzahl nicht länger leisten können“, so Ostertag.
Der Geschäftsführer wünscht sich hier eine Gleichbehandlung mit den Einrichtungen der Stadt Hannover, deren Personalkosten in der tatsächlichen Höhe aus dem Haushalt finanziert werden, mit allen Zulagen, Tarifsteigerungen und Stufensprüngen. Er weist außerdem darauf hin, dass eine Kommune wie die Stadt Hannover gesetzlich verpflichtet ist, Jugendarbeit bedarfsgerecht anzubieten. „Das ist keine freiwillige Leistung, sondern eine Pflichtaufgabe“, betont er. Außerdem gelte stets das sogenannte Subsidiaritätsprinzip: Wenn freie Träger fachlich und personell in der Lage sind, die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit zu betreiben, dann müsse die Stadt die freien Träger diese Arbeit machen lassen.
Kinder und Jugendliche seien am Ende die Leidtragenden von wegbrechender Jugendarbeit und sie hätten ohnehin in den vergangenen Jahren stark gelitten. Unter anderem durch die Corona-Krise. Deshalb brauche die Stadt Hannover eine starke Jugendarbeit, die auskömmlich finanziert ist. „Man verwendet in solchen Situationen ja oft die Redewendung ‚Es ist fünf vor zwölf‘ – aber bei uns ist es jetzt schon eine Minute vor zwölf“, so Ostertag.
Text & Foto: Christian Degener/AWO