Pädagogin und Fachbuchautorin Ute Steffens zeigte auf, wie wichtig der professionelle Blick hinter das Verhalten ist. Jedes herausfordernde Verhalten, so Steffens, beruht auf einer Form von Überforderung.

Wenn „herausfordernd“ das neue Normal ist

Klausurtag der AWO-Kita-Leitungen: Wie können Kita-Leitungen ihre Mitarbeitenden im Umgang mit Kindern unterstützen, die herausforderndes Verhalten zeigen?

Region Hannover/ Hannover. „Bei uns geht es bunt zu – Herausfordernd ist das neue Normal!?“ Unter diesem Motto haben sich jetzt mehr als 50 Einrichtungsleitungen aus den Kindertagesstätten der AWO Region Hannover zu einem ganztägigen Klausurtag im Grete-Hofmann-Saal getroffen. Veranstaltet vom Fachbereich Kindertagesstätten, stand die Frage im Mittelpunkt: Wie können Kita-Leitungen ihre Mitarbeitenden im Umgang mit Kindern unterstützen, die herausforderndes Verhalten zeigen?

Immer mehr Kinder in Kindertagesstätten zeigen Verhalten, das Teams im Alltag stark fordert: Aggressives Verhalten, Rückzug, übersteigerte Unruhe oder impulsive Ausbrüche sind längst keine Ausnahme mehr, sondern prägen den pädagogischen Alltag vieler Einrichtungen. Die Gründe sind komplex – familiäre Belastungen, Entwicklungskrisen, traumatische Erlebnisse, physiologische Besonderheiten oder gesellschaftliche Veränderungen greifen ineinander. Klar ist: Die pädagogische Arbeit wird zunehmend anspruchsvoller. Und ebenso klar ist: Sie verdient professionelle Unterstützung, Raum für Austausch und konkrete Orientierung. Genau dafür war dieser Klausurtag gedacht – ein Tag der kollegialen Stärkung, der Reflexion und der gemeinsamen Suche nach Lösungen.

Den Auftakt bildete ein Impulsvortrag der Pädagogin und Fachbuchautorin Ute Steffens, die aufzeigte, wie wichtig der professionelle Blick hinter das Verhalten ist. Jedes herausfordernde Verhalten, so Steffens, beruht auf einer Form von Überforderung – sei es situativ im Kita-Alltag, ausgelöst durch familiäre Umstände oder im Rahmen von Entwicklungsschritten, die das Kind vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringen. Dabei betonte sie besonders, dass das Kind niemals mit seinem Verhalten gleichgesetzt werden dürfe. In der professionellen Beziehung liege das heilende Potenzial, Kindern Orientierung, Selbstregulation und Zugehörigkeit zu ermöglichen.

Steffens schilderte Situationen, in denen Kinder mit scheinbar grundloser Wut reagieren oder sich komplett zurückziehen – und zeigte Wege auf, wie pädagogische Fachkräfte dennoch in Beziehung bleiben können. Ob mit klarer Haltung, kleinen „Hilfs-Ich“-Gesprächen oder konkreten Angeboten wie Stehgreifgeschichten oder ruhigen Beobachtungsphasen: Entscheidend sei die Haltung – aufrichtig, präsent, empathisch und zugleich klar in der Führung. Viele der gängigen Methoden – etwa Meditationen – seien in akuten Phasen wenig hilfreich. Stattdessen gehe es darum, Kindern in ruhigen Zeiten zu zeigen, wie sie mit schwierigen Gefühlen umgehen können, ohne den Raum zu sprengen.

Ein weiterer zentraler Punkt des Vortrags war die Bedeutung nonverbaler Kommunikation. Kinder lesen viel stärker zwischen den Zeilen, als Erwachsene oft glauben. Aufmerksamkeit, Blickkontakt, kleine Gesten – all das trägt zur Bindung und zur emotionalen Sicherheit bei. Steffens rief dazu auf, sich die eigene pädagogische Leistung bewusst zu machen: Struktur geben, Rituale pflegen, Gewaltfreiheit garantieren, Gemeinschaft ermöglichen – das sind Grundpfeiler professionellen Handelns, auch und gerade dann, wenn der Alltag turbulent wird.

Nach dem Vortrag öffnete sich der Raum für Vernetzung. Im sogenannten Open Space hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich an Stationen zu informieren, Fragen zu stellen und Ideen mitzunehmen. Verschiedene AWO-interne Fachbereiche wie Familienberatung, Familienbildung oder die Frauenarbeit präsentierten ihre Angebote ebenso wie externe Partner. Ob es um Unterstützungsstrukturen für Familien, Beratungsmöglichkeiten für Fachkräfte oder Materialien zur Arbeit mit herausfordernden Kindern ging – die Stationen luden zum Austausch ein und wurden rege genutzt.

Am Nachmittag ging es dann in intensiver Workshoparbeit weiter. Externe Referentinnen und Referenten arbeiteten mit den Teilnehmenden zu Themen wie elternbezogener Kommunikation, gruppendynamischer Stabilisierung oder entwicklungspsychologischer Deutung von kindlichem Verhalten. Viele der Inhalte waren praxisnah und sofort im Kita-Alltag umsetzbar – etwa einfache Rituale zur Stärkung der Gruppenidentität, der gezielte Einsatz von „Ruhehilfen“ wie Knautschbällen oder die bewusste Gestaltung von Übergängen in besonders konfliktreichen Tageszeiten. In den Workshops wurde deutlich: Es gibt keine Patentrezepte – aber viele Wege, um professionell, flexibel und ressourcenorientiert auf Kinder zu reagieren, die herausfordern.

Entstanden ist dieser Fachtag aus einer engagierten Vorbereitungsgruppe, bestehend aus sechs Kita-Leitungen und Regionalleitung Denise Damerau. Ein halbes Jahr lang wurde gesammelt, diskutiert, geplant – immer mit dem Ziel, einen Tag zu gestalten, der den tatsächlichen Bedarfen aus der Praxis entspricht. Der Klausurtag machte deutlich: Der Alltag in Kindertagesstätten ist fordernder geworden – aber auch reflektierter, professioneller, selbstbewusster. Und mit dem nötigen Wissen, einem klaren Blick und einem offenen Austausch auf Augenhöhe lassen sich auch schwierige Situationen meistern. Oder wie es Ute Steffens ausdrückte: „Pädagogische Fachkräfte sind keine zahnlosen Tiger – wenn sie sich ihrer Rolle und Wirksamkeit bewusst sind.“

 

Die 9 Stationen:

1) Torsten Döring vom pädagogisch-psychologischen Dienst der AWO unterstützt Mitarbeitende bei der Einschätzung, welche Unterstützung ein Kind braucht.

2) Britta Schulle von der Sprachsprechstunde in der AWO Kita Levester Straße: Berät AWO Mitarbeitende und Eltern hinsichtlich des Sprachförderbedarfs der Kinder.

3) Corina Dannenberg, Logopädin in der AWO Sprachheilkita Ratswiese, berät Leitungen und Teams hinsichtlich der Sprachentwicklung der Kinder und welche Förderung es gibt.

4) Anja Schulze vom AWO Fachbereich Kindertagesstätten, berät als eine von mehreren 8s-Fachkräften die Kitaleitungen, ob eine Kind (das anonym bleibt) an das Jugendamt gemeldet werden sollte, wenn das Wohl des Kindes in der Familie gefährdet ist.

5) Heike Ehmke von der AWO Familienbildung berät zu entlastenden Angeboten für Familien belastenden Situationen, die sich auf die Kinder auswirken können – zum Beispiel Kurberatung.

6) Sarah Ogiermann von der AWO Frauenberatung: Hilfe und Beratung für Frauen, Thema Gewalt gegen Frauen, Beratung für pädagogische Fachkräfte.

7) Angela Jacobs von der AWO Familienberatung und Familienhilfe, ist Ansprechpartner für Einrichtungsleitungen, wenn Krisen in den Familien der Kindern auftauchen. Herausfordendes Verhalten der Kinder kann durch Krisen in der Familie ausgelöst werden oder zu Krisen führen.

8) Carola Ludowig, von der Heilpädagogischen Frühförderung Lebenshilfe, berät Kitaleitungen, wie die Wege zur Familienberatung sind. Bietet auch Autismusberatung an.

9) Kathrin Block, Heilpädagogische Praxis, gibt Fortbildungen für Kitas zum Thema Umgang mit herausforderndem Verhalten.

Text & Fotos: Christian Degener/AWO

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