Region Hannover/ Hannover-Linden. Eine Situation, wie sie viele kennen: „Ihr Sohn hat in der Straßenbahn seine Schultasche vergessen. Schreiben Sie eine E-Mail an das Fundbüro der Üstra: Wann und wo ist er mit der Straßenbahn gefahren, und was war in der Tasche?“ Mit dieser Aufgabe von Abdallah Abusaid, Lehrkraft der AWO Einrichtung Sprache und Integration in Linden, beschäftigten sich heute die Teilnehmenden des Förderkurses Deutsch. „Solche praxisnahen Schreibübungen sind ein zentraler Bestandteil des Kurses und bereiten auf typische Situationen im Alltag vor“, sagt Daniel Steckbauer, didaktischer Leiter der Einrichtung. Der Förderkurs ist ein spezielles Angebot für Menschen, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben, aber bisher keine Gelegenheit hatten, systematisch Deutsch zu lernen. Oft haben sie die Sprache nebenbei im Berufsalltag gelernt, mit Fehlern und ohne ausreichende schriftliche Kenntnisse.
Die AWO Region Hannover bietet als erster und einziger Träger niedersachsenweit dieses Kursformat an. „Es ist ein sehr spezieller Kurs, weil es hier nicht darum geht, die deutsche Sprache von Grund auf zu lernen, sondern falsch abgespeicherte mündliche Strukturen ‚umzulernen‘ und gleichzeitig einen systematischen Schriftspracherwerb umzusetzen“, erklärt Steckbauer.
Diese Arbeit stellt besondere Anforderungen: „Da es für diese Zielgruppe keine vorgefertigten Lehrmaterialien gibt und übliche Kursbücher nicht geeignet sind, mussten wir ein individuelles Konzept entwickeln“, erläutert Gaby Olszowa, die als Deutschlehrerin eigens Unterrichtsmaterialien für den Förderkurs erarbeitet hat. Acht Monate hat sie den Kurs mit großem Engagement betreut, und die Teilnehmenden individuell gefördert. „Die Sprachniveaus und Voraussetzungen waren sehr unterschiedlich“, berichtet Olszowa. Um diesen Unterschieden gerecht zu werden, habe sie vielseitige Methoden eingesetzt und den Unterricht flexibel gestaltet. „Ich bin ständig auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Teilnehmenden eingegangen, um bestmögliche Lernerfolge zu erzielen.“ Besonders motivierend sei es für die Teilnehmenden gewesen, ein Ziel vor Augen zu haben, das eng mit dem Erlernen der deutschen Sprache verbunden war. „Oft erzählten sie mir strahlend von ihren Erfolgen“, ergänzt Olszowa. „Sie führten Gespräche auf Deutsch, erledigten Telefonate eigenständig oder informierten sich über Ausbildungsmöglichkeiten. Viele berichteten, dass sie durch den Kurs ganz neue Perspektiven für ihre Zukunft sehen.“ Durch die Teilnahme am Förderkurs und die sprachlichen Fortschritte hätten die Teilnehmenden nicht nur ihre Alltagskompetenzen verbessert, sondern auch die Fähigkeit erlangt, ihre beruflichen Ziele ernsthaft zu verfolgen.
Der Erfolg des Kurses spricht für sich: Alle Teilnehmenden haben nicht nur Lesen und Schreiben gelernt, sondern bereiten sich nun auf die B1-Prüfung vor, die am 13. Dezember stattfindet.
Die 29-jährige Rana N. kam Ende 2018 aus dem Irak nach Deutschland. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hannover. „Ich möchte richtig Deutsch lernen und meine alltäglichen Dinge ohne sprachliche Hilfe selbst regeln können“, erzählt sie. Vor dem Kurs habe sie zwar ein bisschen Deutsch gesprochen, das sie vor allem durchs Fernsehen gelernt habe, „aber mit vielen Fehlern“. Jetzt fühlt sie sich beim Lesen, Schreiben und Sprechen viel sicherer und hat große Fortschritte gemacht. Nach der B1-Prüfung will sich Rana für einen B2-Kurs anmelden. Ihr Ziel ist es, eine Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen.
Auch der 26-Jährige Ameer H., der 2017 aus dem Irak nach Deutschland kam, hat große Fortschritte gemacht. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist gelernter Koch. Anfang nächsten Jahres fängt er in der Küche eines Krankenhauses an. „Nach der B1-Prüfung werde ich die Einbürgerung beantragen“, berichtet er. Der Kurs habe ihm nicht nur geholfen, sein Deutsch zu verbessern, sondern auch viele gemeinsame Erlebnisse ermöglicht. „Wir haben Ausflüge gemacht, waren im Museum, im Rathaus und in den Herrenhäuser Gärten und haben uns zum Kaffeetrinken verabredet.“
Für die 30-jährige Ronak M., die seit 2015 in Deutschland lebt, ist der Förderkurs eine willkommene Abwechslung. Die vierfache Mutter aus dem Irak verbringt ihren Alltag hauptsächlich zuhause, kümmert sich um den Haushalt und die Kinder. „Der Kurs ist für mich eine spannende Abwechslung“, sagt sie. „Sonst komme ich kaum raus.“ Ihr Ziel ist es, die B1-Prüfung zu bestehen, danach zu arbeiten – vielleicht in einem Drogeriemarkt- und dann weiter zu schauen. Ihr größter Wunsch ist es, eine Ausbildung zur Krankenschwester zu machen.
Mohamed K., 25 Jahre alt, kam 2018 aus Somalia nach Deutschland. Auch für ihn war der Kurs ein wichtiger Schritt auf seinem Weg. „Ich will alleine klarkommen“, sagt Mohamed. Ein bisschen Deutsch konnte er schon, aber mit vielen Fehlern. Durch den Kurs haben sich seine Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und vor allem in der Grammatik deutlich verbessert. „Gaby hat mich immer unterstützt“, betont er dankbar. Nach der B1-Prüfung will er Anfang nächsten Jahres seinen Hauptschulabschluss nachholen und anschließend eine Ausbildung zum Tischler beginnen. „Dass mir diese Arbeit Spaß macht, habe ich bei einem Praktikum erfahren“, erzählt er.
„Der Förderkurs zeigt deutlich, wie wichtig solche Projekte für die Integration sind – gerade für Menschen, die schon lange in Deutschland leben und dadurch die Möglichkeit erhalten, systematisch Deutsch zu lernen“, sagt Steckbauer. Diese Menschen sind in allen anderen Kursarten falsch aufgehoben – sie passen nicht in Alphabetisierungskurse, weil sie bereits gut sprechen können, aber in normalen Integrationskursen kommen sie nicht mit, weil dort der Fokus nicht auf dem Schreiben-Lernen liegt. Mit weniger Fördermitteln werde es immer schwieriger, solche maßgeschneiderten Kurse anzubieten.
Zum Hintergrund
Mit insgesamt 900 Unterrichtseinheiten (UE) bereitet der Förderkurs gezielt auf die sprachlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes und des gesellschaftlichen Lebens vor. Weitere 100 UE vermitteln Wissen über Politik, Geschichte, Kultur und das Rechtssystem in Deutschland sowie zentrale gesellschaftliche Werte. Gleichzeitig fördert der Kurs den Austausch mit anderen Menschen in ähnlicher Lebenssituation.
Fotos: Gaby Kujawa/Christian Degener Text: Gaby Kujawa/AWO